■ Mit dem Winter auf du und du: Rumänien friert
Bukarest (taz) – „Seit es kalt geworden ist, wird bei uns im Block nicht mehr geheizt“, klagt ein Bukarester. „Im Dezember '89 wurde Ceaușescu ermordet, weil die Bevölkerung gefroren hat. Und jetzt, wen sollen wir jetzt noch umbringen?“ Die Beschwerde dieses Mannes ist repräsentativ. Nicht nur in Bukarest, sondern auch überall sonst in Rumänien frieren die Menschen.
Und sie klagen, daß die Winter von Jahr zu Jahr immer mehr der Zeit vor dem Sturz Ceaușescus ähneln. Damals hatte der Diktator angeordnet, daß die Temperatur in den Wohnungen nicht mehr als zwölf Grad betragen durfte. Gas, Strom und Wasser gab es, wenn überhaupt, nur stundenweise.
Sechs Jahre nach dem Sturz Ceaușescus befiehlt den Rumänen zwar niemand mehr ausdrücklich zu frieren. Doch kaum sinken die Temperaturen im Land unter Null, funktioniert nichts mehr: Die Heizkörper strahlen nicht genug Wärme ab, um die Wohnung auf Zimmertemperatur zu bringen, aus den Wasserhähnen tröpfelt es lauwarm, der Gasdruck ist gerade mal so stark, daß die Flamme nicht verlischt.
Schuld an der Eiseskälte sind nicht das schlechte Wetter oder „gewisse“, von der Regierung gern zitierte „obskure Kräfte, die Rumänien nichts Gutes wollen“. Schuld ist in erster Linie die sogenannte „Finanzblockade“.
Hinter diesem rätselhaften Wort, von der Regierung erfunden, um ein nicht greifbares Phänomen vorzuspiegeln, verbirgt sich der Teufelskreis der staatlich geförderten Schuldenspirale: Rumäniens staatliche Industriebetriebe sind untereinander mit horrenden Summen verschuldet. Statt sie zu modernisieren, zu privatisieren oder zu schließen, subventioniert die Regierung sie seit Jahren großzügig mit ungedeckten Krediten, mit denen Altschulden zurückgezahlt werden.
Das macht sie zwar nicht rentabler, heizt aber die Inflation bestens an. So stehen staatliche Kombinate periodisch vor dem Problem, daß sie ihre Schulden bei städtischen Wärmekraftwerken, Warmwasserzentralen und Gaslieferanten oder bei den staatlichen Energiemonopolisten Renelk und Romgas nicht bezahlen können. Und Renelk und Romgas liefern dann einfach keinen Strom, kein Heizöl oder Stadtgas mehr, weil sie die Erdöl- und Erdgasimporte selbst nicht mehr bezahlen können.
Von der Regierung war deshalb in der letzten Woche Tröstliches zu erfahren: Sie vergibt wieder einmal ungedeckte Kredite. Notfalls soll, so die Regierung, die Versorgung der Bevölkerung mit Fernwärme und Warmwasser Vorrang vor der Industrieproduktion haben. Doch der nächste Winter kommt bestimmt. Deshalb erteilt die Regierungszeitung Stimme Rumäniens den frierenden Rumänen schon jetzt wohlfeile Ratschläge: „Die Betroffenen dürfen die Hände nicht in den Schoß legen. Als die Ölkrise den Westen erschütterte, wurde als erstes die Isolierung der Wohnungen gesichert, damit keine Energie verschwendet wird.“ Keno Verseck
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