piwik no script img

Klein-Grönland-Spektakel auf der Elbe

■ Mit dem Eisbrecher durch die „Schlabber-Schollen“ im Hamburger Hafen Von Heike Haarhoff

Die Kollegen von der Nachtschicht haben ganze Arbeit geleistet. Von der glatten, geschlossenen Eisschicht in den Hafenbecken sowie auf Norder- und Süderelbe sind beim gestrigen Morgengrauen gegen neun Uhr bestenfalls fünf mal fünf Meter große Fragmente übrig geblieben. Unmotiviert treiben die handbreit dicken Schollen jetzt auf dem Elbwasser. Ein paar fette, träge Möwen haben die winterlichen Flöße für sich entdeckt.

Daß ihnen die Eisbrecher des Amts für Strom- und Hafenbau mit ihrem knapp 30 Meter langen Schlepper „Johannes Dalmann“ – benannt nach dem Wasserbaudirektor, der den Hamburger Hafen Mitte des vergangenen Jahrhunderts zu einem Tidehafen machte – mit rasanten zwölf Stundenkilometern zu Leibe rücken, beeindruckt sie wenig: Das Auf- und Abschaukeln des Schiffs und die so erzeugten Wellen sollen auch die letzten Bruchstücke möglichst zu Cocktail-Eis zerstoßen und damit die vereiste Elbe für die Binnenschifffahrt wieder befahrbar zu machen.

Auch José Rodriguez steht längst nicht mehr wie gebannt an der Reling, um zuzugucken, wie die Wogen die Eisschollen zu kümmerlichen Eisstücken mit der unverwechselbaren Elbwasser-Schmuddelfärbung zwischen ocker und olivgrün zerkleinern. Seit der aus Spanien stammende Matrose über den Nordpol fliegen durfte, lockt ihn das in Hamburg erstmals seit 1987 wieder stattfindende Klein-Grönland-Spektakel bei den lausigen Januar-Temperaturen nur in äußersten Notfällen aus der Kajüte hervor.

Trotz 25jähriger Kälteschocks und sonstiger hanseatischer Abhärtung fröstelt es ihn jedesmal, wenn die Schlepper der Wirtschaftsbehörde – während der eisfreien Jahreszeit zum Ausbaggern von Elbschlick eingesetzt – ausrücken, das Treibeis auf der Elbe aus den Fahrrinnen zu verdrängen. „Das Gedröhne, wenn das Schiff wie ein Auto auf einer Schotterstraße durch das Eis brettert“, fände der Matrose allenfalls dann abenteuerlich, „wenn ich mich hier wie Sie nur zwei Stunden aufhalten würde.“

José Rodriguez, sein Schiffsführer Reinhold Beier und der Maschinist aber arbeiten in Zwölf-Stunden-Schichten. „Rund um die Uhr“, betont Georg Werner, Leiter des behördlichen Baggerei- und Schiffahrtsdienstes, müssen die sechs Schlepper der Eisbrecherflotte die Schollen im Hafen in Bewegung halten, damit die Binnen- und Seeschiffahrt nicht einfriert und der Hafenwirtschaft „horrende Verluste“ beschert: Während der Flut werden vor allem die Hafenbecken und die Binnenschiffsliegeplätze aufgebrochen; bei einsetzender Ebbe dann die Eisflächen in der Stromelbe gerammt, damit sie möglichst schnell gen Nordsee abdriften.

„Richtig gefährlich“, beruhigt Schiffsführer Reinhold Beier, „wird es aber erst, wenn sich das Eis so stark staut, daß es eine Mauer bis zum Elbgrund bildet.“ Dann, erinnert sich der 45jährige Kapitän an die letzte Elbe-Eiszeit von 1987, „ist es kaum noch möglich, das Eis mit dem Schlepper zu brechen.“ Damals drohten die gefrorenen Massen sogar die Deiche zu sprengen: „Es war unglaublich. Drei Monate hat das gedauert. Um die Katastrophe zu verhindern, haben wir schließlich versucht, die Barriere in der Norderelbe mit Sprengstoff zu durchbrechen.“

Statt dessen vor Naturgewalten zu weichen, fällt den technikgläubigen Eisbrechern auch heute noch schwer: Zerknirscht berichten sie über das Mißgeschick, das ihnen – ebenfalls 1987 – beim Versuch widerfuhr, ein festgefrorenes Binnenschiff auf Teufel komm raus loszueisen: Anstatt die Eisschicht mit dem Druck der Fahrwasser-Welle zu zerstören, landete Beier mit seinem Pott selbst auf der Scholle. Nur zwei eilig herbeigerufene Schlep-per retteten ihn vor „dem Titanic-Schicksal“.

Dagegen, befindet der Kapitän, seien die heutigen Schollen nur „Schlabber-Eis“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen