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Kunstwerke besiegen Betonköpfe

■ Portugals Regierung stoppt den Bau eines Staudamms

Lissabon (taz) – „Die Gravuren können nicht schwimmen.“ Mit diesem Slogan kämpften Künstler, Archäologen und Naturschützer in Portugal mehr als ein Jahr lang gegen den Bau eines Staudamms. Sie gewannen in den Parlamentswahlen des letzten Jahres. Der neue Ministerpräsident Antonio Guterres schloß sich ihrer Meinung an. Als eine seiner ersten Amtshandlungen entschied er: Der Bau des Damms, der das Wasser des Rio Côa im portugiesischen Distrikt Guarda aufstauen sollte, wird „suspendiert“.

Kulturminister Manuel Carilho wurde noch deutlicher: „Der Stausee ist ein totes Projekt.“ Denn in den Fluten wären Hunderte von mehr als 20.000 Jahre alter Gravuren versunken, die die Menschen damals in Felsen und Schiefer geritzt hatten – um Naturtreue bemühte Abbildungen von Pferden, Bisons, Ziegen.

Nach Ansicht von Archäologen aus ganz Europa handelt es sich um die größte Ansammlung von Steinzeitkunst unter freiem Himmel. Sie müsse „bewahrt und in den kommenden Jahren gründlich erforscht werden“, heißt es in einem Bericht für die Unesco. Für die Existenz der Kunstwerke gibt es unterschiedliche Erklärungen. Am plausibelsten ist die Theorie, wonach es sich um Zeugnisse eines mystischen Kultes handelt.

Im Wahlkampf hatte sich Guterres noch um eine eindeutige Stellungnahme herumgedrückt. Rund 900 Arbeiter hatten bereits zu bauen begonnen. Guterres wollte sich nicht als Jobkiller am Pranger sehen. Doch die Proteste hörten nicht auf. So unterzeichneten mehr als 80.000 Menschen eine Erklärung. Und die Zeitungen führten monatelang, zum Teil auf den Titelseiten, eine Polemik um das kulturelle Erbe Portugals, wie sie das Land bisher noch nie erlebt hat. Die Kernfrage: Stehen wirtschaftliche Interessen vor der Bewahrung des Kulturerbes?

Die Entscheidung war am Ende eindeutig. Die Überflutung der Gravuren sei „unvereinbar mit der Vorstellung der Regierung“, befand Kulturminister Carilho. Und der Minister im Präsidialamt, Jorge Coelho, relativierte das Arbeitsplatz-Argument: „Wenn ein Staudamm fertig ist, arbeiten dort insgesamt elf Leute“ – Aufsichts- und Wartungspersonal. Die Regierung will am Rio Côa jetzt einen „Archäologiepark“ einrichten und mit der Steinzeitkunst Touristen anlocken. Das bringe „wirklich Arbeitsplätze“.

Am heftigsten kritisierte der alte Industrie- und Energieminister Luis Mira Amaral die Entscheidung gegen den Staudamm. Mit dem Baustopp habe die neue Regierung 500 Millionen Mark in den Sand gesetzt. Die mit den Baufirmen eingegangenen Verträge will die Regierung erfüllen – durch ihre Beteiligung an einer Alternative. Ein neuer Staudamm soll jetzt nicht am Rio Côa, sondern am Rio Sabor errichtet werden, keine 80 Kilometer von der bisherigen Baustelle entfernt. Theo Pischke

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