Viel Lärm und Streß

■ Mogelpackung oder Jahrhundertreform – der Probelauf für die „Verläßliche Halbtagsgrundschule“ ist nicht gerade ermutigend Von Patricia Faller

Der „Probelauf“, bei dem die ersten und zweiten Grundschulklassen seit Herbst 1995 drei bis vier Stunden pro Woche mehr Unterricht haben, ist nicht gerade vielversprechend. Von KollegInnen und SchülerInnen, die in ihrer Konzentrationsfähigkeit und Durchhaltekraft überfordert sind, die dem Lärm und Streß, den es mit sich bringt, rund fünf Stunden mit bis zu 29 SchülerInnen in einem Raum zu verbringen, nicht gewachsen sind, berichten GEW und der Deutsche Lehrerverband (DL) übereinstimmend. Schlechte Voraussetzungen für die umstrittene sogenannte „Verläßliche Halbtagsgrundschule“, die im Sommer mit dem neuen Schuljahr eingeführt werden soll.

Eine Elternumfrage der Grundschule Ratsmühlendamm ist symptomatisch für die Bewertung der „Reform“: 73 Prozent finden die Idee der „Verläßlichen Halbtagsgrundschule“ gut, null Prozent sind zufrieden mit ihrer Umsetzung. Während das Konzept als gesellschaftspolitisch und pädagogisch wünschenswert angesehen wird, hagelt es Kritik für die personelle, räumliche und finanzielle Ausstattung und dafür, daß für die Umsetzung die Kindertagesstätten und Horte bluten müssen. Durch Schließung am Vormittag sollen dort rund 26 Millionen Mark eingespart werden. Die Hälfte davon ist für die Finanzierung von Stellen im Grundschulbereich vorgesehen.

Harburg, Wilhelmsburg, Bergedorf, Mümmelmannsberg, Finkenwerder und Süderelbe dürfen den Anfang machen. Jeden Tag sollen die SchülerInnen von 8 bis 13 Uhr in der Schule verbringen, wobei die Anfangs- und Endzeiten freiwillig sind. Wie die Kinder beschäftigt werden sollen, das bleibt den Schulen weitgehend selbst überlassen. Sie sollen entsprechende Konzepte ausarbeiten. Der Rahmen in Form eines Bildungsplans der Behörde läßt noch auf sich warten.

Nach einer Bedarfsanalyse der Behörde muß fast die Hälfte der 50 Schulen der ersten Stunde erweitert werden. 25 zusätzliche Unterrichts- und 15 Gruppenräume sollen entstehen. Auf 5,6 Millionen Mark wurden die Kosten dafür geschätzt. Sie gehen zu Lasten der anderen Schulerweiterungen und -sanierungen. Die Grundschulen, die jahrelang stiefmütterlich behandelt wurden, avancierten zu den Lieblingskindern von Schulsenatorin Rosemarie Raab und haben jetzt erst einmal Vorrang.

Als den kritischsten Punkt an dem Modell bezeichnet der Hamburger GEW-Vorsitzende Hans-Peter de Lorent den Wegfall von Teilungsstunden. Sie gaben bisher die Möglichkeit, individueller zu lernen – nicht unter dem Druck und dem Lärm der ganzen Klasse. Dies sei notwendig, weil sich die Kinder und damit auch die Anforderungen an die PädagogInnen geändert haben: „Es gibt Klassen mit bis zu zwölf verschiedenen Nationalitäten oder Kriegsflüchtlingen.“ Darüber hinaus nähmen Verhaltensauffälligkeiten zu. „Da wird man in einem Moment aufs Übelste beschimpft, und im nächsten Moment kommt ein Kind und will kuscheln“, veranschaulicht die stellvertretende GEW-Vorsitzende Gudrun Zimdahl das Spannungsfeld, in dem sich LehrerInnen bewegen.

Üben LehrerInnen Kritik an dem Konzept, würden sie von der Behörde als „faul, frustriert oder politisch nicht motiviert“ beschimpft, ärgert sich de Lorent. Dabei sei es höchste Zeit für eine saubere und sachliche Diskussion über das Reformkonzept.