■ Japans Liberaldemokraten sind wieder an der Macht
: Erhalt des alten Konsenses

Ist Japan reformunfähig? In Südkorea werden ehemalige Präsidenten für ihre korrupten Regierungsmethoden vor Gericht gestellt. Währenddessen haben sich die Liberaldemokraten in Japan, die noch vor zwei Jahren im Skandalsumpf zu versinken schienen, wieder an die Regierungsspitze hochgearbeitet. Proteste und Empörung sind deshalb in Japan kaum zu erwarten. Die Reformbegeisterung der japanischen Bevölkerung ist nach dem Krisenjahr 1995 gänzlich verflogen – in Kobe stürzte eine Welt ein, in der Tokioter U-Bahn ging das Sicherheitsgefühl verloren, und Bankenbankrotte erschütterten eine Nation tapferer Sparer. Alles deutet darauf hin, daß die Liberaldemokraten in Ruhe weiterregieren können.

Die skeptische Weltsicht vieler Japaner ist jedoch auch Teil eines langsamen politischen Erkenntnisprozesses. Viele der Reformvorhaben der heutigen Opposition, die nach 1993 ein Jahr die Regierung lenkte, laufen auf eine Anpassung der japanischen Verhältnisse an westliche Prinzipien hinaus: Von mehr Eigenverantwortlichkeit und Weltoffenheit der Bürger ist die Rede, was in der Wirtschaftspolitik nichts anderes bedeutet als die Zurückdrängung staatlichen Einflusses. Nicht umsonst gilt Japans mächtige Staatsbürokratie ihren Kritikern als Feind einer freien Marktwirtschaft. Freilich überlegen viele Japaner ein zweites Mal, wieviel Marktwirtschaft ihrem Land guttut.

Die Liberaldemokraten garantieren insofern den Erhalt des alten Sozialkonsenses: Große Unternehmen dürfen auf Befehl der Bürokratie keine Massenentlassungen durchführen. Kleinunternehmen und Bauern bekommen Subventionen, während von Marktöffnung und Deregulierung immer nur geredet wird, aber nichts geschieht. Ob darin für Japan der schnellere Weg aus der Krise liegt, läßt sich durchaus bezweifeln. Doch es hat paradoxerweise etwas mit dem verlorengegangenen Überheblichkeitsgefühl vieler Japaner zu tun, die ihr Land schon als ichiban (Nummer eins) auf der Welt sahen, daß die Liberaldemokraten erneut Aufwind spüren.

Vor diesem Hintergrund bekommt auch das Regierungsbündnis der einst tief verfeindeten Sozialdemokraten- und der Liberaldemokraten seinen Sinn. Ihre gemeinsame Klientel sind die Verlierer der Globalisierung: Bauern, Handwerker und die Angestellten kleiner Firmen. Zur Zeit bilden sie in Japan eine solide demokratische Mehrheit. Georg Blume, Tokio