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Über den Wipfeln ist keine Ruh'

■ Zum Nachbarschaftsbesuch hangeln sie sich von Baum zu Baum, und die Küche ist im dritten Ast von links: Im englischen Newbury leben Hunderte seit Monaten in Baumhäusern, um gegen eine Umgehungsstraße zu pro

Über den Wipfeln ist keine Ruh'

Es ist die Ruhe vor dem Sturm. Doch die „Dritte Schlacht von Newbury“ kann jeden Moment losbrechen. 1643 und 1644 lieferte sich Oliver Cromwell hier zwei Gefechte mit den königlichen „Kavalieren“, um die Monarchie zu stürzen. Diesmal geht es um eine Umgehungsstraße.

Beide Seiten sind gut vorbereitet: Die GegnerInnen des Bauprojekts haben sich in neun Hüttendörfern entlang der Strecke verschanzt, viele der Hütten sind hoch oben in den Bäumen erbaut worden. Auf der anderen Seite stehen Veteranen, die in den vergangenen Jahren bei anderen umstrittenen Straßenbauprojekten viel Erfahrung im Räumen solcher Hüttendörfer gesammelt haben.

Newbury liegt in der Grafschaft Berkshire westlich von London. Von Norden her führt die breite Schnellstraße A34 in die Stadt, wo sie sich auf eine Spur verengt. Es ist die einzige einspurige Strecke auf der knapp 2.000 Kilometer langen Eurostraße zwischen Glasgow und Madrid, vom Ärmelkanal einmal abgesehen. Deshalb hat die Regierung beschlossen, eine gut zwölf Kilometer lange Umgehungsstraße westlich von Newbury zu bauen.

Der Verkehr wird dann mitten durch drei Naturschutzgebiete, zwei historische Schlachtfelder und durch das Marschland des Flusses Kennet führen. Die Lastwagen werden direkt an dem malerischen Erholungsgebiet Bagnor und am mittelalterlichen Schloß Donnington vorbeibrausen.

Aber auch die BefürworterInnen der Straße argumentieren ausgerechnet mit dem Umweltschutz. „Die Verkehrsverstopfung ist schockierend“, sagt Peter Gilmore vom Stadtrat in Newbury. „Jeden Tag sausen 55.000 Fahrzeuge durch diese Stadt mit ihren nur 27.000 Einwohnern. Pro Stunde sind es 480 Lastwagen. Wir ersticken an dieser Umweltverschmutzung.“

Zum überwiegenden Teil sei das Ortsverkehr, meint dagegen die Umweltschutzorganisation „Friends of the Earth“. Eine Umgehungsstraße sei daher völlig nutzlos, in spätestens sechs Jahren wäre wieder alles beim alten. Der Streit um die Straße zieht sich schon seit 13 Jahren hin. Es gab zwei öffentliche Anhörungen, mehrere Meinungsumfragen und zahllose Informationsveranstaltungen. Am Ende war alles für die Katz: Das Transportministerium ordnete einfach die westliche Umgehung an, im vergangenen Sommer gab es endgültig grünes Licht. Im Handumdrehen waren die BesetzerInnen da, und längst sind es Hunderte von Menschen, die hier ausharren.

Badger war der erste. Er baute sich am Snelsmore Common ein Baumhaus, das sogar vom Sozialamt als Wohnadresse anerkannt ist: Pixie Village, Newbury. Inzwischen gibt es mehr als 50 Baumhäuser, manche mit Glasfenstern, Schornsteinen und Kücheneinrichtung. Am Kennet steht ein Baumhaus, in dem 30 Leute übernachten können. „Es ist schwierig, ein Hüttendorf zu räumen, wenn es hoch in der Luft liegt“, sagt Badger. Die drei Camps am Snelsmore Common sind durch „Luftstraßen“ verbunden: zwei straff gespannte Seile, auf denen man sich von Baum zu Baum hangeln kann.

Die Leute, die nicht so gut klettern können, haben sich andere Widerstandsformen überlegt. So gibt es zahlreiche Mühlsteine mit Eisenstangen in der Mitte, an die sich die BesetzerInnen anketten wollen. In den Beton der Mühlsteine sind Gummi, Metall und Glassplitter gemischt, damit die Bohrer der Räumkommandos abrutschen. Beim Protest gegen das Straßenbauprojekt in Thanet habe es sieben Stunden gedauert, bis man sie losbekommen hätte, erzählte eine 19jährige.

Andere haben sich Höhlen drei Meter unter der Erde gegraben, in denen sie sich verbarrikadieren werden, wenn die Räumungen beginnen. Er habe genug Lebensmittel für 40 Tage in seinem Erdloch gelagert, erzählt ein junger Mann. Es gibt zwar Luftschächte, aber er macht sich Sorgen, ob er es so lange ohne Tageslicht aushält.

Die BesetzerInnen sind aus dem ganzen Land nach Newbury geströmt. Die Umgehungsstraße ist das einzige große Bauprojekt in diesem Jahr, nachdem die britische Regierung den Haushaltsplan zusammengestrichen hat, um durch Steuerkürzungen ein paar Wahlstimmen zu fangen: Schließlich stehen in gut einem Jahr die Parlamentswahlen an. Es sind aber nicht nur „bunt gekleidete Berufsprotestler mit Ohrringen und Punkfrisuren“, wie die BefürworterInnen des Bauprojekts behaupten, sondern auch viele EinwohnerInnen aus Newbury. „Wir haben eine Telefonkette“, sagt Jill Eisele von „Friends of the Earth“, von deren Büro in Newbury die Aktion koordiniert wird. „Wenn es mit der Räumung losgeht, haben wir in kürzester Zeit Tausende von Menschen da draußen.“

Am Donnerstag abend errang man einen kleinen Zwischensieg: Ein Gericht vertagte die Entscheidung über den Räumungsbefehl um zwei Wochen, damit „Friends of the Earth“ sich auf den Prozeß vorbereiten können. Außerdem monierte das Gericht den Umwelt- TÜV der Regierung und schloß zumindest nicht aus, den Fall an den Europäischen Gerichtshof zu verweisen.

Jill Eisele gibt sich jedoch keinen Illusionen hin. „Wir wissen, daß sie eine riesige Zahl von Sicherheitskräften angeheuert haben“, sagte sie gestern zur taz. „Alles deutet darauf hin, daß sie Anfang der Woche beginnen werden, zwischen den Camps zu roden und zu bauen.“ Das wäre der Auftakt zur Schlacht. „An die Camps können sie aufgrund des Urteils vorerst nicht ran“, sagte Eisele. „Also werden die Leute aus ihren Hütten, Erdlöchern und Baumhäusern kommen und sich den Bulldozern in den Weg stellen.“

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