: Politik verdirbt alles!
■ Ein Buch erinnert an das vergessene Beuys-Projekt für das Spülfeld Altenwerder
Das inhaltlich, räumlich, zeitlich und personell umfangreichste Projekt, das Joseph Beuys je plante, wollte er in Hamburg realisieren: die Umwandlung der Spülfelder in Altenwerder zum komplexen Kunstwerk. Hier politisch verhindert, im Beuysschen Lebenswerk nicht allzu präsent, stellt Silvia Gauss das legendäre Gesamtkunstwerk Freie und Hansestadt Hamburg, seine Zusammenhänge und sein Scheitern in einer neuen Publikation umfassend dar.
Gespickt mit Zitaten von Goethe, Schiller, Nietzsche und Beuys selbst, mit faksimilierten Originalbelegen und Querverweisen auf das übrige Beuys-Werk schreibt Silvia Gauss in profunder Kenntnis und mit durchaus parteiischer Sympathie. Das ist, obwohl aus einer Magisterarbeit entstanden, keine trockene kunsthistorische Fleißarbeit, sondern auch als Einführung in die Beuyssche Gedankenwelt zu lesen, die immer aktuell bleibt. Die Fragen, die Beuys damals aufwarf, sind in dieser Stadt schließlich bis heute nicht geklärt.
1983 erging von der Kulturbehörde die Einladung zum Projekt Stadt-Natur-Skulptur: Ziel sollte es sein, „daß sich Künstler mit definierten Stadträumen oder ,unräumlichen' Situationen in den Städten beschäftigen und in diesen Raumsituationen Arbeiten erstellen“, wie der damals für Kunst im öffentlichen Raum zuständige Karl Weber an Beuys schrieb.
Es war die Zeit, in der bei Boehringer kiloweise Dioxin verschwand und aus dem Georgswerder Müllberg Gift auszusickern begann. Im Kontext der so bestimmten Umweltdebatte verlangte Beuys nach dem immer praktizierten Prinzip „Zeige Deine Wunde“, man möge ihm den größten ökologischen Problemfall Hamburgs zeigen. Das waren die Altenwerder Spülfelder, auf denen jährlich 2,5 Mio. Kubikmeter kontaminierter Elbschlick deponiert wurde.
Beuys plante, mit einer verbleiten Basaltsäule die wüste Todeszone zum Kunstareal zu markieren und dann mit umfangreichen Pflanzungen vor Ort zu beginnen, um die Fläche so zu entgiften (was man damals für Humbug hielt und heute besser weiß). Ein Stadtbüro sollte über 30 bis 50 Jahre weitergehende wissenschaftliche Forschungen koordinieren. Träger sollte eine Stiftung sein, in die die Kulturbehörde ein Startkapital von 400.000 Mark einbringen sollte, ein Künstlerhonorar war nicht vorgesehen. Für einen Betrag, für den heute kaum eine mittlere Arbeit von Beuys zu ersteigern wäre, sollten die Spülfelder zu einem konstruktiven Kulturmahnmal werden, „zum Signal, das ökologische Dilemmma, für das diese Spülfelder nur der äußerste Zipfel sind, systematisch im Ganzen anzugehen“.
Beuys forderte in seiner Projektbeschreibung von Juli 1983 das Primat der Kunst ein und strebt in professoral-schamanischer Diktion die „Heilung der ökologischen, gesamtgesellschaftlichen Krankheit“ an. Doch nach informellen Zusagen der Kulturbehörde verschleppen sich wirkliche Verträge von Monat zu Monat, bis das Projekt in einer Medienkampagne lächerlich gemacht wird und schließlich am Veto des Bürgermeisters scheitert.
Leider hat auch die taz damals – unisono mit Abendblatt und Bild – mit kurzschlüssigen Verweisen auf anderswo fehlende Gelder das Projekt für verrückt, zu teuer und überflüssig erklärt. Utopisch nannte man das Projekt. Und Beuys antwortete: „Utopie ist ein Plan!“ Doch ein so auf Würde bedachter Bürgermeister wie Klaus von Dohnanyi schätzte es nicht, öffentlich von Beuys als „Flappmann“ bezeichnet zu werden, und vor allem überstieg das Projekt bei weitem alles, was Hamburger Politik dem Künstler zutraute. Immerhin war das Beuyssche Konzept nichts geringeres als „ein neues Bauhaus für die Formfragen der gesamten Gesellschaft“ zu gründen.
1985 resümiert Beuys: „Politik verdirbt überall das ganze Geschäft. Überall, wo die Brüder auftauchen, ist die Sache am Ende, aus welcher Richtung auch immer.“
Hamburg entging letztlich eines der spannendsten, grenzübergreifenden Projekte des erweiterten Kunstbegriffs der letzten Jahrzehnte. Selbst wenn das Projekt im technischen Sinne nicht sofort Ergebnisse gezeitigt hätte, wäre immerhin so etwas wie eine modellhafte Zukunftswerkstatt entstanden. Doch selbst noch bei der Spesenbegleichung zeigte die Stadt sich uneinsichtig: In einem langwierigen Vergleich zahlt sie für alle Kosten der anderthalbjährigen Vorbereitungen des Hamburger Konzepts erst nach Joseph Beuys Tod 1986 an die Witwe Eva Beuys 8.000 Mark Entschädigung.
Hajo Schiff
Silvia Gauss: Joseph Beuys – Gesamtkunstwerk Freie und Hansestadt Hamburg 1983/84, FIU-Verlag/Versand, Wangen (Allgäu), 1995, 118 Seiten, 38 Mark
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen