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SPD reagiert gereizt auf Diepgens Vaterrolle

■ Vor der großen Verhandlungsrunde kocht der CDU-Regierende die dramatische Haushaltslage herunter. SPD fordert Diepgen zu „unangenehmen Wahrheiten“ auf

Vor Beginn der heutigen großen Verhandlungsrunde hat der Tonfall zwischen SPD und CDU an Schärfe zugenommen. Auslöser war die gestrige Pressekonferenz des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen, in der dieser überraschend das Haushaltsdefizit des Landes mit den Problemen in anderen Bereichen, etwa mit der Stadtgestaltung, gleichsetzte.

„Wir haben Diepgen im Verdacht, daß er uns immer die harten Brocken sagen läßt und sich selbst drückt – das nervt uns gewaltig“, erklärte gestern SPD-Fraktrionssprecher Hans-Peter Stadtmüller.

Diepgen versicherte gestern, an der schnellstmöglichen Herstellung gleicher Lebensverhältnisse in Ost und West festzuhalten. Hauptziel sei die Schaffung neuer Arbeitsplätze und eine größere Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Berlin. Energiekosten, Steuern und Gebühren müßten für die Unternehmen reduziert werden. Indirekt wandte sich der CDU- Spitzenpolitiker damit auch gegen die Forderung der SPD nach einer Anhebung der Gewerbesteuer auf das Niveau Brandenburgs.

Das Verhalten Diepgens wurde am Rande der Sitzung von SPD–Fraktion und Landesausschuß von SPD-Fraktionschef Klaus Böger heftig kristisiert. Statt endlich einmal ein paar unangenehme Wahrheiten zu sagen, bleibe Diepgen bei „Wolkenschiebereien“. Die Sozialdemokraten befürchten, daß sich die CDU in den Gesprächen der kommenden drei Tage – die an einem geheimen Ort stattfinden werden – vom Sparwillen distanzieren könnten. „Weiterhin scheint die CDU die Erhöhung der Netto-Neuverschuldung im Hinterkopf zu haben“, so Stadtmüller. Dies werde die SPD nicht mitmachen, zumal dadurch die Fusion mit Brandenburg gefährdet werde.

Skeptisch sah Landesschatzmeister Klaus-Uwe Benneter, der für die Opposition plädiert, den weiteren Gesprächen entgegen. Von dem Sparziel sei man „meilenweit“ entfernt. „Ich weiß nicht, wie wir die Sparvolumen von 23 Milliarden Mark bis 1999 erreichen wollen“, so das Mitglied der Verhandlungsdelegation. Notfalls müsse eben länger verhandelt werden, widersprach er der Forderung von Diepgen, noch in dieser Woche die Grundrisse des Koalitionsvertrages unter Dach und Fach zu bringen.

Benneter kritisierte, daß durch die Papiere der Arbeitsgruppen nur Teilbereiche abgedeckt worden seien und Großprojekte wie der Krankenhausneubau oder der Ausbau der Messehallen ausgeklammert wurden. Im Hinblick auf die Volksabstimmung über die Länderehe am 5. Mai müsse aber ein „ordentlicher Haushalt“ vorgelegt werden. Ansonsten sei das „einzige große Projekt dieser Koalition“ von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Der amtierende Kreuzberger Bürgermeister Peter Strieder, als Senator im Gespräch, warnte ebenfalls vor einer Erhöhung der Netto-Neuverschuldung. „Eine dauerhafte Erhöhung wird keine Mehrheit finden“, meinte er. Im Gegensatz zu Benneter sieht Strieder ein baldiges Ende der Verhandlungen. Die Bevölkerung, der öffentliche Dienst und die Wirtschaft seien zunehmend verunsichert und erwarteten die baldige Bildung einer neuen Regierung. Severin Weiland

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