piwik no script img

Tote beim Kleinkrieg zwischen Linken und Staat

■ Die türkische Knastrevolte ebbt ab, dafür sorgen andere Todesfälle für Aufregung: Journalist stirbt nach Verhaftung, Geschäftsleute sterben bei Attentat

Istanbul (taz) – Morde, ob im Auftrag des Staates oder im Auftrag der Linken, bestimmen trotz Koalitionsverhandlungen die Agenda der türkischen Innenpolitik. In den türkischen Gefängnissen war gestern die Situation relativ entspannt, nachdem die als Geiseln gehaltenen 28 Beamten in den Gefängnissen Bayrampasa und Buca freigelassen worden waren. Zuvor waren der zuständige Staatsanwalt und der Leiter des Gefängnisses Ümraniye in Istanbul, in welchem vergangene Woche drei Häftlinge zu Tode geprügelt worden waren, ihres Amtes enthoben worden.

Während das türkische Justizministerium einlenkte und Ermittlungen zur Klärung der Todesfälle einleitete, kam es gestern erneut zu einem blutigen Nachspiel. „Unser Korrespondent Metin Göktepe wurde von der Polizei massakriert“, meldete die linke Tageszeitung Evrensel (Universal). Der 27jährige Göktepe, der häufig über Menschenrechtsverletzungen in der Türkei berichtete, war am Montag zur Beerdigung der ermordeten Häftlinge im Istanbuler Stadtteil Alibeyköy gegangen, um darüber zu berichten. Doch die Polizei hatte weiträumig die religiöse Stätte der Aleviten in Alibeyköy, von wo aus der Beerdigungszug starten sollte, abgeriegelt. Jeder, der an der Beerdigung teilnehmen wollte und in die Nähe der Polizei kam, wurde verprügelt und anschließend festgenommen. Über 1.000 Menschen – unter ihnen Familienangehörige der Toten sowie Journalisten wie Göktepe – wurden in Sporthallen verfrachtet. Göktepes Leiche liegt inzwischen bei der Gerichtsmedizin. Die Staatsanwaltschaft bestreitet nicht die Festnahme des Journalistes vor seinem Tod. Doch sei er erst nach seiner Freilassung gestorben.

Dev-Sol bekennt sich zu Mordanschlag

Zeitgleich zur Nachricht von der mutmaßlichen Ermordung des Journalisten in Polizeihaft fielen Menschen im Wolkenkratzer der Sabanci-Holding, einem der größten Mischkonzerne in der Türkei, einem blutigen Anschlag zum Opfer. Vorstandsmitglied Özdemir Sabanci, der Vorsitzende des türkischen Toyota-Konzerns, Haluk Görgün, sowie die Sekretärin Nilgün Hasefe wurden mit Schußwaffen im 25. Stock des Gebäudes ermordet. Bis zu Redaktionsschluß stand nicht fest, ob die Täter gefaßt werden konnten. Die linksterroristische Organisation DHKP-C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front), mit anderem Namen Dev-Sol (Revolutionäre Linke), bekannte sich zu dem Anschlag. Der Anschlag sei die „Vergeltung“ auf die „Massaker des Faschismus in den Gefängnissen“, sagte sie. Die getöteten Häftlinge im Gefängnis Ümraniye waren Angehörige der linksradikalen Organisation. Ömer Erzeren

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen