Sanssouci: Nachschlag
■ „Jugendsünden“: Filme von Jörg Buttgereit im Roten Salon
Frankensteins Monster erwacht im Heizungskeller, Spielzeuglandschaften stehen in Flammen, und Superman-Epigonen siegen mit Sprühsahne. Je glatter und undurchsichtiger die Bilder im Mainstream-Film werden, desto mehr Spaß machen wacklige, dilettantische Werke, bei denen man durch riesige Löcher in der Illusion direkt auf rührende Produktionsprozesse sehen kann. Da findet sich, so vermutet man, noch echtes Leben. Verwackelte Fotos, Supermarktmusik und Super-8-Filme erfreuen sich allergrößter Beliebtheit. Auch Trash-Filmer Jörg „Schramm“ Buttgereit hat im Archiv seiner Lehrjahre gegraben. Am Dienstag zeigte er im Roten Salon der Volksbühne seine „Jugendsünden“-Filme, die die echte, feuchte Luft des Hobbyraumes atmen. Vor ein paar Jahren waren sie ihm wahrscheinlich noch peinlich.
In „Blutige Exzesse im Führerbunker“ (1982) reanimiert Hitler in OP-Grün eine bläuliche Eva Braun und einen aus Leichenteilen zusammengesetzten NS-Helden. Doch bald schon wenden sich die Kreaturen gegen ihren Schöpfer, bis von dem nur noch ein Haufen blutiger Altkleider bleibt. „Horror-Heaven“, eine Kompilation von Genre-Remakes in Minutenlänge, erfreut unter anderem mit Mumien, die sich durch Altbaukeller tasten und mit dem Kampf „Captain Berlin“ vs. Hyxar, dem „Kopfgeldjäger aus dem All“. Neue Aktualität erlangte „Gazorra, die Bestie aus dem Erdinneren“, in dem – zehn Jahre vor „Jurassic Park“ – amoklaufende Saurier mit Autos um sich werfen, bis die Militärs zum letzten Mittel greifen. Erinnerungen wurden wach an die Zeiten, da man selig Matchbox-Autos zerfetzte und die „Faller“- Häuschen von der Modelleisenbahn Brandkatastrophen opferte. Der Saal tobte, als Gymnasiasten auf der Leinwand Sätze sprachen wie „Die Bestie wird dich vernichten“ oder „Wo befindet sich das Monster?“ „Am Bahnhof, Herr Kommandant!“ Parodie oder unvollkommene Nachahmung? Buttgereits Frühwerke schweben irgendwo dazwischen.
Netter Typ, dieser Splatterfilmer, der als Conferencier im „Judge Dredd“-T-Shirt auf der Bühne herumhampelt und zwischen den Filmen Perlen seiner K-Tel-Sampler auflegt. Die Obsession für abgerissene Köpfe oder Verkehr mit Leichen scheint der junge Mann tatsächlich nur im Film auszuleben. Jedenfalls nicht „Auf Urlaub in Dänemark“. In diesem Dokument aus der Mitte der Achtziger hat Buttgereit sich und seine Freundinnen beim Muschelnsammeln, Pferdefüttern und beim Federballspielen vor dem Ferienhaus festgehalten. Jörg Häntzschel
Noch mehr Splatter: „Freax ... und so“ von Manuel Francescon und Bernhard Lenz, betreut von Jörg Buttgereit, heute, 23 Uhr, Brotfabrik, Prenzlauer Promenade 3, Weißensee
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen