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„Im Untergrund wird viel geschoben!“

■ Warum ist die neue Hamburger Architektur so niveaulos, obwohl es hier einige hervorragende Architekten gibt? Ein Gespräch mit Jörg Friedrich, der dauernd Wettbewerbe gewinnt, aber nie bauen darf, zur Hamburger Mauschelei

taz: Die Architektur der letzten Jahre in Hamburg hat unserer Meinung nach eine relativ geringe Qualität. Dabei gibt es in Hamburg durchaus Architekten, und dazu zählen Sie, deren qualitätvolle Architektur außerhalb Hamburgs ein hohes Ansehen genießt. Uns erstaunt dann doch, daß Sie in Ihrer Heimatstadt so gut wie nichts bauen dürfen. Nehmen wir zum Beispiel Ihre Stadtwerke Witten (siehe Kasten), die bundesweit hohe Beachtung erfahren haben: Woran liegt es, daß ein derartiges Gebäude nicht in Hamburg stehen kann?

Jörg Friedrich: Hamburg hat eine schwierige Struktur, nichrt nur, was die politische Entscheidungsfindung angeht, sondern wie Entscheidungen umgesetzt werden: Filz, Filz, Filz. Es gibt hier hervorragende Architekturbüros, die in Deutschland oder im Ausland interessante und gute Projekte bauen. Auch wir haben hier in den vergangenen Jahren, auch bei zum Teil international besetzten Wettbewerben, zehn erste Preise gewonnen, danach war jedesmal Schweigen.

In Hamburg existiert ein kulturelles Trauma

Darum habe ich das Gefühl, daß im Untergrund viel geschoben wird und irgendwelche Beziehungen wichtiger sind, als architektonische Entscheidungskriterien. Ich kann es mir nicht anders erklären, weil wir außerhalb Hamburgs viele internationale Wettbewerbe gewonnen haben und eine Menge bauen. Es kann also nicht am Büro liegen. Aber das erleben auch viele andere Kollegen hier, und das ist doch bedauerlich.

Es gibt auch Hamburger Büros, die außerhalb interessante Gebäude bauen, nur hier leider nicht.

In Hamburg existiert ein kulturelles Trauma. Kunst und auch Architektur haben hier keinen aussagekräftigen Charakter. Dabei gibt es hier gute Leute und auch die Hochschulen bilden gute Leute aus, aber das interessiert hier keine Sau. Wenn Architektur interessiert, dann nur unter dem Gesichtspunkt, ob sie merkantil verwertbar ist. Nicht aber in dem Sinn, daß sie eine Art Überbau, einen neuen Zusammenhang, vielleicht auch eine Art neuer Identität stiften kann.

Wenn ausländische Architekten in Hamburg ihre Arbeit vorstellen, herrscht ein unglaublicher Andrang. Deswegen die Frage, wo lokalisieren Sie das Desinteresse gegenüber der Qualität?

Es liegt sicherlich daran, wie hier Bauherrenschaften zusammengesetzt sind. Freundschaften ersetzen hier oft das Nachdenken über künstlerische und architektonische Qualität. Zusätzlich ist es das Problem, daß Bauen als öffentliche Aufgabe und kulturelle Verpflichtung im politischen Raum keinen großen Stellenwert besitzt. Im privaten Bereich existiert ein hohes Interesse an qualitätvoller Architektur, aber im öfffentlichen Bereich eben nicht. Auch bei vielen Unternehmen besteht hier kein Gefühl dafür, daß man sich über gute Architektur auch als Firma darstellen kann.

Aber handelt es sich hier nicht auch um ein Versagen der Politik, die es nicht schafft, bei Wettbewerben für Grundstücke, die die Stadt an Investoren verkauft, durchzusetzen, daß die Gewinner auch bauen dürfen?

Ja, das kann sein. Beim Spiegel-Neubau haben wir dies exemplarisch erlebt. Der Stopp des Neubaus kurz vor Baubeginn hat für mich vornehmlich gezeigt, daß der Medienriese angesichts der Focus-Konkurrenz Schwierigkeiten bei der Selbstdefinition hat und dann alles, was den Hamburger Kulturumkreis fördern könnte, aus Angst ausbremst. Aber das ist hanseatisch, glaube ich. Man kann eben die Außendarstellung nicht so richtig in Mark und Pfennig rechnen.

Die City Süd ist ein grausames Erlebnis

Wenn Sie vom städtebaulichen Gesichtspunkt einmal die Kernstadt betrachten, wo sehen Sie dort die Probleme?

Ich muß sagen, daß Hamburg eine der wenigen deutschen Städte ist, die für mich eine lebenswerte, architektonische, ästhetische Qualität hat. Hamburg ist im Verhältnis zu anderen deutschen Städten auch nicht so ungeschickt entwickelt worden. Die Tendenz, sich runter zur Elbe zu orientieren, ist richtig gewesen. Die Stadt ist schön geblieben, von der Elbe bis zur Schanzenstraße.

Aber was ist an Hamburg schön, was aus den letzten Jahren stammt? Immer, wenn Menschen über die Schönheit der Stadt reden, meinen sie Dinge, die mindestens 100 Jahre alt sind.

Es ist ja auch eine Charakteristik, daß diese Schönheit 100 Jahre bestehen konnte. Das ist in Köln oder Frankfurt ganz anders. Städte müssen sich auch über 100 Jahre entwickeln können, ohne sich ständig alle zwei Jahre neu definieren zu müssen. Ich sehe eher diese grauenhafte, in alle Himmelsrichtungen völlig ununterscheidbare Peripherie, dieses flächige, ungestaltete Wachstum, als das wirkliche Problem der Stadt. Aber ich bin der Meinung, daß die Monostruktur ohne Wohnnutzung in der Innenstadt verkehrt gewesen ist. Die City Süd etwa, wie sie sich jetzt darstellt, ist ein grausames Erlebnis. Es gibt Möglichkeiten, das haben wir jetzt seit Jahren an der Hochschule in vielen Entwürfen gezeigt, spannendere Modelle für eine durchmischte Stadt zu entwickeln. Es ist wirklich schade, daß solche Chancen bislang über die Monostrukturierung nicht genutzt werden.

Wird auf solchen Sachverstand von politischer Seite reagiert?

Bislang war dies nur selten der Fall. Hier fehlt einfach das Bewußtsein von Stadt als komplexem kulturellem und nicht nur merkantilem System. Wenn die Stadt so sein möchte, wie sie ist, dann soll sie das machen. Wir haben unsere Beiträge geliefert, jetzt ist gut.

Sie haben beim Millerntor-Wettbewerb ebenfalls den 1. Preis gewonnen. Jetzt wird dort mal wieder das Büro Kleffel, Köhnholdt, Gundermann bauen. Was war das Gefährliche an Ihrem Konzept?

In unserem Gebäudekonzept war beinhaltet, und das haben die Leute an der Reeperbahn auch ganz gut verstanden, daß man Investoren über raffinierte Entwurfskonzep-tionen daran hindert, sich weiter in die Reeperbahn hinein auszudehnen. Denn es herrschte dort die berechtigte Sorge, daß irgendein Gigant die ganze Gegend bedroht. Deswegen haben wir ein Gebäude entworfen, das nicht mehr erweiterungsfähig ist. Aber irgendwie ist es für Hamburg normal, daß ein Büro den Bauzuschlag erhält, das nicht einmal im Gutachterverfahren bestehen konnte. Diese Lösung sieht jetzt eine endlos erweiterbare Struktur vor, die sich über das ganze Gebiet hochfressen kann. Und genau das wird auch passieren.

Wie sehen Sie das Verhältnis von Tradition und Zäsur für Hamburg?

Was ich schlimm finde ist, daß man nicht den Mut hat, die Architektur für sich gelten zu lassen und sie als zusätzliche Chance für das Image der Stadt zu sehen, Mut zu etwas Weltläufigem fehlt. Das ist nicht immer notwendig, aber es ist ab und zu ganz gut. Die Verwechslung von Backstein mit Baukultur ist auf jeden Fall ein großer Fehler. Und auch die Überbewertung des Eklektizismus ist verkehrt. Ich glaube unser Jahrhundert hat genug Kraft, um eine Tradition würdig fortzusetzen aber ohne zu negieren, daß wir inzwischen in einer Zeit leben, in der nicht mehr nur Kaffee- und Kakaohöker das Verständnis von Stadtkultur und Architektur bestimmen. Was wir brauchen, sind viel mehr öffentliche ArchitektenWettbewerbe. Wir alle müssen Architekturqualität leisten und verlangen. Das heißt eben auch, mehr Mut zur Baukunst, besonders bei öffentlichen Baumaßnahmen, zu entwickeln und einzufordern.

Fragen: Till Briegleb

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