: „Wir brauchen kein neues Schulgesetz“
■ Rotraut Meyer-Verheyen, schulpolitische Sprecherin der Statt Partei, im taz-Interview
taz: Sie haben vergangene Woche überraschend verkündet, Sie wären in wesentlichen Punkten mit dem Schulgesetz-Entwurf der Senatorin Raab nicht einverstanden. Was hat Sie dazu bewogen?
Rotraut Meyer-Verheyen: Als Abgeordnete bin ich zwar unabhängig, möchte aber auch die Diskussion der Partei darstellen, für die ich angetreten bin.
Vor zwei Monaten haben Sie als erste Reaktion den Entwurf begrüßt. Jetzt lehnen Sie ihn ab. Wie kommt es zu dieser Wende?
Es gibt keine Wende. Wenn ich einen „Entwurf zur Diskussion“ zunächst begrüße, so ist das für mich der ordentliche Umgang mit einer Arbeit, die geleistet wurde. Ich finde das Verfahren gut, beabsichtigte gesetzliche Regelungen erstmal zur Diskussion zu stellen und nicht von oben zu verordnen. Dieses Verfahren ist begrüßenswert, weil es der Intention des Gesetzes, nämlich mehr Demokratisierung rund um die Schule, entspricht.
Unterscheidet sich Ihre Position von der Ihres Fraktionskollegen und Ex-Fraktionschefs Markus Wegner? Der hat ja sehr früh und massiv gegen den Entwurf polemisiert.
Da müssen Sie ihn selbst fragen. Ich denke schon, daß ich in Schulfragen für die Statt Partei-Fraktion spreche. Ich halte manche Punkte in dem Entwurf für gut, andere für in veränderter Form diskussionswürdig.
Und es ist doch gut, wenn man über Schule und die Art und Weise, wie junge Leute und Eltern möchten, daß Schule stattfindet, spricht. Und es ist sehr gut, wenn die Behörde spürt, daß Diskussionen stattfinden und zu welchem Ergebnis die führen.
Sie sagten aber vorige Woche, die meisten Vorschläge würden „weder dem Elternwillen noch der schulischen Realität entsprechen“.
Das war allgemein, ich möchte spezieller werden und mit dem Positiven beginnen: Es steht sicherlich an, daß die Autonomie, die Mitwirkung und Mitbestimmung der einzelnen Schule erweitert werden muß. Es ist überfällig, daß mehr wirtschaftliche Verantwortung an die Schule delegiert wird. Es muß für die Schule möglich sein, mit wirtschaftlichen Budgets zu arbeiten, um sich ein Profil zu geben.
Was verstehen Sie unter wirtschaftlicher Verantwortung? Daß die Schulen sparsamer sind?
Nicht nur sparsam. Sie sollen ein Budgetbewußtsein bekommen. Nehmen wir ein Beispiel: Eine Schule vermietet außerhalb der Schulzeit Räume an die Volkshochschule. Dieser Betrag geht nicht an die Schulen zurück, sondern in den allgemeinen Finanztopf. Selbst wenn eine Schule sich sehr bemüht, wirtschaftlich mit ihren Ressourcen umzugehen, hat sie nichts davon – bisher jedenfalls.
Wenn Schulen eigenständig wirtschaften, besteht die Gefahr, daß sie je nach Stadtteil unterschiedlich wohlhabend sind.
Es ist eine wichtige Aufgabe des Staates, ein solches Auseinanderdriften zu vermeiden und ausgleichende Maßnahmen zu ergreifen. Deswegen muß Verantwortung in starkem Maß bei der Behörde bleiben. Man muß abwägen, wo die Gefahren sind und wie man sie löst.
Sie nannten vorige Woche den Gesetzentwurf einen „sozialromantischen Höhenflug“, dessen Finanzierung nicht gesichert sei. Was ist meinen Sie damit?
Der Grundsatz der Integration ist etwas, was wir nicht für alle Schulen finanziell leisten können. Ein Schulwesen, das insgesamt nach Integrationsgesichtspunkten für Behinderte ausgebaut wird, kostet ein ungeheures Maß an zusätzlichen Lehrkräften und Geld für Umbaumaßnahmen. Dabei ist durch kein Gutachten belegt, daß die bisherigen Maßnahmen, die wir haben, sprich die Integrationsklassen oder Integrativen Regelklassen, die optimale Förderung für diese Kinder sind. Wir haben in Hamburg ein sehr gutes System von Sonder- und Förderschulen. Wir sind ja kein Flächenland, wo die Bevölkerungsdichte für solche Schulen fehlt.
Trotzdem wird die Ausweitung der Integration von Eltern lautstark gefordert. Integration kommt bei den Betroffenen gut an.
Ich möchte aber wissen, was es für die Kinder bewirkt. Das ist nicht schlüssig erforscht. Da kann ich mich nicht auf Eltern verlassen.
Der Grundsatz Integration im Schulgesetzentwurf ist also mit der Statt Partei nicht zu machen?
Solange nicht bewiesen ist, daß Integration als Form für die Kinder das beste ist, kann das kein Grundsatz, für ein Schulgesetz sein.
Sehen Sie weitere Dollpunkte?
Die Abschaffung der Vorschule. Das kommt für uns zu früh. Im Schulgesetz steht, daß Kinder grundsätzlich mit sechs Jahren eingeschult werden. Aber gleichzeitig kommt die Vorschule in der Standortplanung gar nicht mehr vor. Das heißt, eigentlich hat die Schulbehörde davon schon Abschied genommen. Ich halte dies für keine gute Maßnahme, weil Vorschulen ein Abfederungssystem für Kinder sind, die noch nicht genügend Förderung erfahren haben. Solange wir nicht für alle Kinder Kindergartenplätze haben, und solange es die verläßliche Halbtagsgrundschule noch nicht gibt, kann man nicht eine Einrichtung abbauen, die den Kindern momentan hilft.
Herr Wegner polemisiert gegen Bildungspläne. Sie auch?
Ich denke, fächerübergreifendes Lernen sollte besonders in jüngeren Jahrgängen im Mittelpunkt stehen, um die Grundfertigkeiten zu stärken. Wir müssen Lehrpläne nach wie vor altersgerecht staffeln. Schule findet nicht nur statt, um Kinder zu bilden und zu betreuen, sondern auch, um sie für das Leben fit zu machen. Staatliche Schulbildung muß auch bestmöglichst helfen, sich in der künftigen Arbeitswelt zurechtzufinden. Also muß ich altersmäßig auch eine Grenze ziehen, von der je nach Begabung Fächerwissen vermittelt wird.
Bildungspläne bedeuten keineswegs eine Abschaffung der Fächer, sondern eine inhaltliche Verknüpfung dessen, was in diesen Fächern gelehrt wird.
Gegen eine inhaltliche Verknüpfung als Zielvorgabe, ohne daß sie eine verschwommene Vorschrift wird für alle, kann kein vernünftiger Mensch sein. Aber die Schulabschlüsse müssen vergleichbar bleiben. Ein staatliches Bildungswesen darf nicht soweit ausufern, daß der eine dieses und der andere jenes zusammenfaßt, und die Kinder nicht mehr von einem zum anderen Stadtteil umziehen können.
Wissen Sie, daß Baden-Württemberg bereits Bildungspläne hat?
Ich habe auch nichts gegen den Grundsatz als Zielfunktion. Aber dieses Thema ist nicht abschließend in diesem Entwurf gelöst. Wir brauchen zur abschließenden Meinungsbildung die Vorlage des neuen Schulverfassungsgesetzes.
Das klingt moderater als Ihre jüngst verkündete Ablehnung. Sie wollen also am Entwurf konstruktiv weiterdiskutieren?
An den Ideen! Ich glaube nicht, daß wir ein neues Schulgesetz brauchen. Ich glaube aber, Schule kann in einigen Bereichen durchaus eine Modernisierung vertragen.
Reden Sie mit der Senatorin?
Wir werden den Referentenentwurf und das neue Schulverfassungsgesetz abwarten sowie Bürger und Gremien befragen.
Das Schulgesetz ist nicht das erste Thema, bei dem Sie mit SPD-Schulpolitik aneinandergeraten.
Die Zusammenarbeit in schulischen Dingen ist überhaupt nicht schlecht. Wir haben als Statt Partei schon manches auf den Weg gebracht. Ich erinnere an die verläßliche Halbtagsgrundschule, da haben wir die SPD überzeugen können. Und dies ist für die künftige Schüler-Generation eine wirklich positive Reform.
Stichwort Gesamtschule: Wird diese Schulform bevorzugt?
Die Gesamtschule ist ja noch ein Schulversuch. Schulversuche werden naturgemäß besonders gut ausgestattet. Die Chancengleichheit gebietet die Frage, ob sie nicht langsam aus diesem Stadium herauswächst. Wir müssen kritisch gucken, wo die Gesamtschule etwas für die Schüler tut und an welcher Stelle Haupt- und Realschulen dies in wirtschaftlich günstigerer Form erbringen können. Ich will das nicht zu einer ideologischen Auseinandersetzung machen, Schulen sind für Schüler da und nicht für Politiker. In die Gesamtschulen gehen Schüler, die zufrieden sind. Es gibt dort Lehrer, die zufrieden sind, und es gibt dort viele, die in hohem Maß unzufrieden sind. Auch hier fehlt die abschließende Bewertung. Wir dürfen uns nicht an etwas festhalten, nur weil wir nach 1968 daran geglaubt haben.
Wem stehen Sie in Ihren schulpolitischen Ideen näher: Der SPD-Schulsenatorin Raab oder der CDU-Schulpolitikerin Knipper?
Ich denke, ich stehe dazwischen.
Fragen: Kaija Kutter
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen