Im Zweitakt über Kopfsteinpflaster

Ein reizendes Stückchen DDR-Nostalgie: Im Museumsmobil, vulgo Trabi („Töp–töp–töp“), kann man durch Dresden und Umgebung touren. Für original sächsische Begleitung ist gesorgt  ■ Von Amos Veith

Herr Grau zeigt auf die kilometerlangen Obstfelder an der Pillnitzer Landstraße im Dresdner Elbtal. „Des hoaben die alles blattgemacht. Mindestens dausend Oarbeitsplätze, mit einem Schlag fort.“ Nach der Wende war Obst aus Italien und Spanien billiger. Mit der Zeit wurden Kirsch-, Apfel- und Pflaumenbäume links und rechts der Straße abgeholzt oder einfach nicht mehr abgeerntet. Mostereien mußten geschlossen werden.

Die Dresdner Agentur „welcome tourist“ vermietet Trabis. Mit denen kann man für einen Tag über original ostdeutsches Kopfsteinpflaster ruckeln. Ein Stückchen DDR-Nostalgie. Und wer nicht nur Dresden, sondern auch Dresdner kennenlernen will, kann sich begleiten lassen auf einer Tour in die Umgebung. Zum Beispiel vom Ehepaar Grau.

Wir knattern die Kesselsdorfer Straße hinunter. Typischer Stadtverkehr, „stop and go“. Wenn wir stehen, ziehen die Abgase des Zweitakters in die Nase. Die Leute gaffen unserem Trabi nach. Nicht, daß er in Dresden etwas Besonderes wäre, sondern weil Herr Grau ihn zu einem roten Cabrio umgebaut hat. Herr Grau flucht. Immer wieder verendet der Wagen. Das Standgas sei zu niedrig.

Links liegt der Dresdner Stadtteil Grabitz. Riesige, häßliche Betonplattenbauten. Einige Fassaden werden renoviert. Gelbe und orangefarbene Baukräne überragen die Hochhäuser. „Da sind etwa 45.000 Wohnungen untergebracht“, erzählt mir Herr Grau. „Eine trostlose Ecke, sehr anonym. Trotzdem kein sozialer Brennpunkt.“

Rast am Schloß Pillnitz. (Die abgeklemmten Beine freuen sich, denn hinten ist es in so einem Trabi verflixt eng.) Schloß Pillnitz wurde 1718 von August dem Starken erworben. Zur Zeit versucht man, die Außenfassade wieder in ihren Originalzustand zu versetzen. Die Graus freuen sich, daß ich begeistert bin vom Schloß mit den geschweiften Dächern, geziert von kleinen Schornsteinen mit grünen Kupferhauben. Eine Treppe führt direkt bis in die Elbe. „Hier konnten die Gondeln der Hofgesellschaft anlegen, wenn sie aus Dresden kamen“, weiß Reiseführer Grau und zerrt mich weiter. „Jetzt müssen wir unbedingt noch zur Kamelie.“ Die Kamelie ist ein Urweltmammutbaum, der 1770 aus Japan nach Dresden umgepflanzt wurde. Sie konnte die vergangenen 225 Jahre nur überleben, weil man sie im Winter vor Frost schützte.

Vor der Wende hatte Heinz Grau als Diplomlebensmitteltechniker in einem Backwarenkombinat gearbeitet. Der Betrieb wurde 1990 aufgelöst, der damals 42jährige arbeitslos. Nach einem kurzen Lehrgang des Arbeitsamtes fand er einen Job bei einem Immobilienmakler. Weil der Umsatz rapide zurückging, wurden drei von fünf Mitarbeitern entlassen. Unter ihnen Herr Grau: „In meinem Alter hat man keine Chance mehr.“

Christa Grau, gelernte Handelsökonomin, arbeitete zu DDR-Zeiten in einem Textilwarenkombinat, das kleinere Läden belieferte. Nach der Wende versuchte man, die Waren vom Lager direkt an den Verbraucher zu verkaufen. Doch wer wollte da noch DDR- Klamotten tragen? Auch Frau Grau verlor ihren Arbeitsplatz. Seit einigen Monaten hat sie nun endlich eine Stelle als Verkäuferin.

Auf dem Rückweg aus dem Elbsandsteingebirge – abseits des dichten Stadtverkehrs – wage ich endlich, selbst den Trabi zu fahren. Die Hände liegen oben auf dem Lenkrad, sonst würde der linke Ellenbogen ständig aus dem Fenster ragen. Der Motor „Töp – töp – töp...“ klingt nach einem Rasenmäher. Das Lenkrad hat etwa drei Zentimeter Spiel. Auch die Stockschaltung ist ungewohnt: Der erste Gang liegt unten rechts ... der zweite oben links ... der dritte wieder unten rechts, wobei man den Schalthebel in der Mitte hineindrücken muß. Das Gefühl, den Gang nicht reinzubekommen, löst jedesmal leichte Panik aus. Ich bleibe deshalb meist im zweiten Gang. Schon bei 60 km/h – und entsprechender Drehzahl – würgt der hochphonige Motor das Gespräch ab. An der ersten Kreuzung will ich bremsen. Das Pedal scheint nicht zu reagieren. Fehlalarm ... Ich trete mit unglaublicher Kraft durch, um das Plastegeschoß irgendwie vom Weiterfahren abzubringen.

Seit zwei Jahren sind die Graus Trabi-Tourbegleiter. Bislang haben sie meistens Westdeutsche kutschiert, einmal einen Holländer. Etwa einmal pro Monat fahren sie mit Dresden-Besuchern zu einem Ziel von deren Wahl. Fühlen sie sich dabei nicht gemietet und als „Vorführ-Ossis“ gebraucht? „Keine Spur“, lacht Frau Grau. „Das ist doch schön, neue Menschen kennenzulernen und deren ganz persönlicher Fremdenführer zu sein.“ Auf Arroganz oder Ablehnung seien sie nie gestoßen.

Viel Geld können die Graus mit den Trabi-Trips allerdings nicht machen. Ein Tagesausflug in die Sächsische Schweiz kostet etwa 50 Mark. Isolde Heinzig, Geschäftsführerin von „welcome tourist“, kennt das Problem: „Bislang stand der Enthusiasmus im Vordergrund. Deshalb konnten wir die Touren verhältnismäßig günstig anbieten. Doch der Trend, damit Geld zu verdienen, wird immer stärker.“ Viele Trabi-Besitzer benötigen ein Zubrot.

Die pfiffige Idee, Touren mit dem automobilen DDR-Relikt anzubieten, kam Frau Heinzig vor drei Jahren. Schon 1990 hatte die frühere Mathematiklehrerin ihre Agentur in Dresden eröffnet: Zunächst vermittelte sie nur Hotelzimmer und Privatquartiere. „In den großen Hotels herrscht oft Anonymität. Man will doch auch etwas über die Menschen erfahren. Wie sie gelebt haben, wie sie leben, was für Probleme sie beschäftigen.“ Viele Anbieter solcher Unterkünfte besaßen noch ihren Trabant. Schnell waren einige bereit, bei den Trabi-Touren mitzumachen.

Herr Grau steuert den Trabant zurück in Richtung Dresdner City. Einen Tag sind wir gemeinsam unterwegs gewesen, das Dresdner Ehepaar Grau und ich, am Schloß Pillnitz, in der Sächsischen Schweiz, im Elbsandsteingebirge. Wir haben viel geredet: über Dresden, über uns, unsere Vergangenheit, unsere Pläne, über die frühere DDR ... Zum Abschied lädt mich Frau Grau ein. Für den Fall, daß ich „widder mah in Dräsden“ sei.

Infos: „welcome tourist“, Kesselsdorfer Str. 173 a, 01169 Dresden, Tel. (0351-41) 0 01 22; Trabi 60 DM pro Tag zzgl. 20 DM Versicherungsgebühr pro Teilnehmer, Begleitung ohne Chauffeur 30 DM pro Stunde.