■ Ökolumne: Von Moneten und Minuten Von Ali Schmidt
Auch wenn's unbefangene Reisende nicht gleich bemerken werden: Seit Neujahr ist auf Deutschlands Schienen alles anders. Vom 1. 1. 96 an sind nämlich die Bundesländer und Kommunen für die Bestellung des Nahverkehrs für die Bahn zuständig. Allerdings auch für die Bezahlung, und dafür erhalten sie vom Bund über 8 Milliarden Mark jährlich aus der Mineralölsteuer, um der privatisierten Deuschen Bahn AG für bestellte Nahverkehrszüge auch ein angemessenes Entgelt überweisen zu können. „Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs“ heißt das Ganze im Fachjargon.
Einige Bundesländer wollen ein halbes Jahr später, mit dem neuen Sommerfahrplan 96, sogar mehr Nahverkehrszüge fahren lassen. „Integraler Taktfahrplan“ heißt das Zauberwort. Es bedeutet, daß zwischen den Städten zu jeder Stunde um die jeweils selbe Minute Züge fahren sollen, auf besonders wichtigen Strecken sogar halbstündlich, zum Beispiel um 7.07 Uhr, 7.37 Uhr, 8.07 Uhr, 8.37 Uhr usw. Das lästige Fahrplanstudieren entfällt, weil nicht nur Bahnfreaks „ihre“ Abfahrtzeiten schon bald im Kopf haben.
Das hört sich vielversprechend an. Doch die spannende Frage lautet: Wird den Ländern die Kohle reichen, um für mehr Regionalzüge zu löhnen? Natürlich nicht. Und womit sollen auf dem flachen Land, wo's keine Schiene mehr gibt, attraktive Buslinien bezahlt werden? Auch dafür sind ja die Landkreise und Gemeinden zuständig, denen längst die Luft ausgeht unter der Last zunehmender Zahlungspflichten, die ihnen der Bund zu seiner eigenen Entlastung aufdrückt: über die Sozialhilfe, durch das Jahressteuergesetz, durch die Verschleppung der überfälligen Gemeindefinanzreform.
Kein Wunder also, daß die Ost-Bundesländer auf 22 ihrer Nahverkehrsstrecken erst mal gar keine Züge bestellt haben. Schienennahverkehr im eigentlich benötigten Umfang ist für sie noch weniger bezahlbar als für die Altländer West.
„Aber wir investieren doch in die Bahn soviel wie noch nie!“ beteuern Bundesverkehrsminister Wissmann & Co. Das ärgerliche ist nur, daß der Bund das große Geld auf den neuen ICE-Hochgeschwindigkeitsstrecken vergraben will, um im Fernverkehr Fahrzeiten minutenweise zu verkürzen – zum Beispiel mit einer Neubautrasse quer durch den Thüringer Wald auf der Verbindung Nürnberg–Berlin, die übrigens den Umweg über Erfurt nehmen soll. Kostenpunkt für das gigantische Projekt: 16,4 Milliarden Mark aus der Steuerkasse.
Und zwischen Nürnberg und München soll eine ICE-Neutrasse durch die Fränkische Alb gegraben werden, deren Kosten sich über die private Vorfinanzierung während der Bauzeit und den anschließenden Rückkauf der Strecke durch den Bund auf letztlich 15,6 Milliarden Mark aufsummieren. Ganz zu schweigen vom Transrapid, der mit wenigstens 10 Milliarden Mark gehandelt wird.
Nichts gegen schnelle Schienen, nichts gegen viel Kohle für die Bahn, die jahrzehntelang systematisch benachteiligt wurde. Aber: Warum muß man mit dem Kopf durch die Wand, sprich: mit teuren Tunneln durchs Mittelgebirge, wenn nebenan eine Tür ist, nämlich vorhandene Strecken, die sich mit einem Bruchteil der Mittel ICE-tauglich ausbauen ließen? So würden zusätzliche Milliarden für den Nahverkehr mit Bus und Bahn frei, und den Ländern und Kommunen brauchte vor ihrer neuen Zuständigkeit einschließlich der neuen Kosten nicht bange zu sein.
Von solchen Investitionen hätten übrigens alle was. Denn nicht im Fernverkehr, sondern im Nahverkehr sind die meisten Reisenden unterwegs. 90 Prozent der Leute bleiben in ihrer Region. Und die könnten das Auto dann öfter mal stehenlassen.
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