: Langeweile beim Verfassungsschutz
■ Vom Linksextremismus gehe eine gößere Gefahr aus als von den Rechten, erklärte der VS. Einen Einblick in die Schaffenskraft der Schlapphüte geben nun zwei umfangreiche Werke zur radikalen Linken
Der Verfassungsschutz leidet an Wahrnehmungsverlust. Während der Vorstellung zweier Broschüren zum Dauerthema „Linksextremismus in Berlin“ ließ es sich der neue Spitzelchef Eduard Vermander nicht nehmen, weiterhin das linke Schreckgespenst zu beschwören. Im Vergleich zum Rechtsextremismus stelle der Linksextremismus weiterhin die größere Gefahr dar. Im gleichen Atemzug räumte Vermander allerdings ein, daß die Zahl der „linksextremistischen Straftaten“ um 25 Prozent, die Zahl der Brandanschläge gar um 30 Prozent zurückgegangen sei.
Die Pressekonferenz des Verfassungsschutzes wäre mit dem Begriff „Buchpremiere“ ohnehin besser umschrieben gewesen. Präsentiert wurden nämlich zwei neue Ausgaben (Redaktionsschluß 1994/95) der vereinseigenen Broschürenreihe „Durchblicke“ zu den Themen „Die militante autonome Bewegung“ und „Der deutsche linksextremistisch motivierte Terrorismus“. Das Ergebnis hätte auf dem freien Buchmarkt allerdings keine Chance: Bar jeder Treffsicherheit dokumentiert die Schreibtischfraktion des VS allenfalls einen geheimen Einblick in ihr geistiges Schaffen und zeigt einmal mehr: Bei den schlappen Hüten in der Clayallee muß die Langeweile ausgebrochen sein.
Beispiel: „Die überwiegende Mehrheit der Autonomen sind zumeist Schüler, Auszubildende und Studenten, die mit der Lehre oder dem Studium nicht zurechtkommen.“ Je tiefer die Analyse, desto größer der beobachtete Zeitraum: Um sich dem Untersuchungsgegenstand zu nähern, schrecken die Verfassungsschützer nicht einmal davor zurück, bis in die Sechziger zurück zu zitieren. Als Höhepunkt wird dann die „Krise der Autonomen“ aufgegriffen, die sich zuletzt beim Autonomiekongreß gezeigt habe.
Auch über die Angriffspunkte der „etwa 1.200 militanten Autonomen in Berlin“ zeigt sich der VS bestens informiert. „Im Mittelpunkt der Kampagne (gegen Umstrukturierung) dürfte künftig die Bebauung des Potsdamer Platzes stehen.“ Klammheimliche Freude ist dabei nicht ausgeschlossen, liest sich doch die behördliche Definition von Umstrukturierung wie ein Szeneflugblatt: „Auch die Tante- Emma-Läden und die Gemüseläden an der Ecke sind davon betroffen. Im Zuge von Modernisierungen und Dachgeschoßausbauten erhöhen sich die Mieten, die sozial schwachen Bevölkerungsschichten werden aus ihrem Stadtteil gedrängt“ (sämtliche Passagen im Indikativ).
Heimliche Sympathie zeigen die Verfassungsschützer offenbar auch für die Kreuzberger Gruppe „Klasse gegen Klasse“. Nicht nur daß ihre Observationen bislang ergebnislos waren, ganz im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft ordnet der VS die Gruppierung nicht dem linken Terrorismus zu, sondern der autonomen Szene. Uwe Rada
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