■ Wenig magische Momente beim Zaubererfachkongreß: Simsalabim in Sindelfingen
Ein Zauberer ist männlich, trägt zum schwarzen Frack einen Koffer und präsentiert seinem Publikum Kunststücke, die beinahe jeder schon einmal gesehen hat. Da werden Tücher verknotet, die sich auf unerklärliche Weise wieder entknoten, und Spielkarten aus der Luft gefischt. Manch einer läßt Geldstücke aus der Nase regnen, während wiederum ein anderer pausenlos Zigaretten verschwinden läßt, um sie im nächsten Moment vor den erstaunten Zuschauern weiter zu rauchen.
Nicht nur dank David Copperfield liegt Zaubern im Trend. Doch wie gut eine Darbietung ist, hängt von den kleinen Tricks bei den Tricks ab. Zauberfachkongresse sind deshalb stets ausgebucht. So trafen sich am Wochenende in Sindelfingen Zauberer aus 17 Nationen auf dem von dem Zaubergerätehersteller „the magic hands“ veranstalteten Kongreß, um sich in Seminaren, Podiumsdiskussionen und Vorstellungen auszutauschen und hinzuzulernen. Vertreten waren sowohl Stammtischzauberer, die sich hier mit Büchern, Videos und neuen Gerätschaften eindecken, als auch an die hundert Profizauberkünstler. 2.000 magische Händepaare sah man in Sindelfingen – und damit auch 1.000 Koffer, denn ohne seinen Koffer ist der Zauberer nichts.
Der Diplomchemiker Dr. Frank Wien (63 Jahre) gehört zu den Halbprofis. Er ist Inhaber einer Zauberagentur und den klassischen Weg eines Zauberers gegangen. Seit seinem zehnten Lebensjahr ist er aufgrund einer ihn faszinierenden Zaubervorstellung der Kunst des Zauberns verfallen. Wien ist in erster Linie Sprachzauberer, das heißt, er vollführt Kunststücke, die in eine Erzählung eingebettet und ohne großen technischen Aufwand durchzuführen sind. Dabei gelingt es ihm sogar am unaufgeräumten Restauranttisch, sein Gegenüber in seinen Bann zu ziehen. Für ihn ist Zauberkunst „die einzige Sparte der Artistik, die Intellekt und Gemüt gleichermaßen anspricht“.
Wien ist ein Entertainer, und man kann sich gut vorstellen, wie er auf Betriebsfesten oder auch auf Galas sein Publikum unterhält, ohne daß es sich ein einziges Mal langweilt. Dabei gehört er eher zu denen, die nicht im allgemeinen Trend liegen, der da heißt: Zauberei in Verbindung mit anderen Darstellungsformen wie etwa dem Steptanz oder aber mit dem Einsatz moderner Technik, wie sie der Grieche Jorgos in beeindruckender Weise innerhalb seiner „Cinemagie“ genannten Videoperformance vorführte.
Bei der Sindelfinger Abschlußgala präsentierten Zauberer der Spitzenklasse ihr Programm. Doch nur ganz wenigen gelang es, das Publikum zu verzaubern. Gefangen in ihrer in erster Linie auf Geschwindigkeit beruhenden Nummern erinnerten sie eher an egozentrische Kleinkunstdarsteller denn an professionelle Unterhaltungskünstler. So wirbelte der preisgekrönte Japaner Uchida immer schneller mit immer größeren Spielkarten auf der Bühne – unglaublich schnell war er, doch auch ebenso farblos. Der Zauber des Zauberers liegt in seinem Charme und dem eleganten Zelebrieren seiner Kunstfertigkeit begründet – und natürlich in seinem Koffer. Michael Bolten
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