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„Enarchen“ haben ausgesorgt

Absolventen der französischen Ecole Nationale d' Administration stehen alle Türen offen: An der ENA werden Minister und Manager gemacht  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Präsident Chirac hat es, Premierminister Juppe hat es, Oppositionschef Jospin hat es, und Renault-Chef Louis Schweitzer hat es auch: das Diplom der „Ecole Nationale d' Administration“. Die „ENA“ ist eine der „großen Schulen“, an denen Frankreich jene Spitzenkräfte ausbildet, die an die Schaltstellen von Politik und Wirtschaft kommen und Autodidakten und Abgänger normaler Universitäten zunehmend verdrängen.

De Gaulle war es, der 1945 die ENA gründete. 50 Jahre danach ist die ENA im Zuge der Dezentralisierung auf zwei Standorte, Paris und Straßburg, verteilt und bildet längst auch Frauen aus. Daneben hat sich an der Eliteschmiede, aus der bislang 5.000 Absolventen hervorgegangen sind, kaum was geändert. Auch heute noch pauken Tausende von Teenagern, meist angestachelt von ehrgeizigen Eltern, für die Aufnahmeprüfung zur ENA. Im Alter von 15 Jahren ist die Entscheidung in der Regel gefallen. Wer bis dahin keine überdurchschnittlichen Leistungen bringt, braucht sich erst gar nicht um den ein- bis zweijährigen Vorbereitungskursus zu bewerben. Wer zwischen 23 und 25 Jahren das begehrte Diplom bekommt, hat zwar seine Jugend verbüffelt, aber für sein ganzes Berufsleben ausgesorgt. Der Abschluß öffnet die Türen nach ganz oben. Die Besten jedes Jahrgangs werden von großen staatlichen Institutionen wie dem Rechnungshof und dem Staatsrat angeheuert, wo sie, falls sie im Staatsdienst bleiben, lebenslänglich eine Stelle behalten.

Das heißt nicht, daß sie auch für die jeweilige Institution arbeiten. „Enarchen“ arbeiten anfangs ein paar Jahre im Team eines Ministers, dann werden sie als Lokalpolitiker in irgendeine französische Provinzstadt geschickt. Dort haben sie meist nicht die geringsten Bindungen, aber ein paar Jahre später kommen sie nach Paris zurück, um eine nationale Karriere zu machen. Chirac beispeilsweise ging, nachdem er 1959 als Angehöriger des „Jahrgangs Vauban“ an der ENA abgeschlossen hatte, in das Kabinett von Georges Pompidou, ließ sich dann in die Corrèze in Zentralfrankreich schicken und kehrte mit nur 34 Jahren als Minister nach Paris zurück. Das Risiko, das Enarchen eingehen, ist denkbar gering. Im Zweifelsfall können sie immer an ihre „Grande Ecole“ zurückkehren. Dennoch haben im letzten Jahrzehnt immer mehr von ihnen dem gehobenen Staatsdienst den Rücken gekehrt und sind in die Wirtschaft gegangen. Heute sitzen sie an der Spitze von weit über 50 Prozent der 200 größten Unternehmen Frankreichs; die ENA ist eine Busineß-Schule geworden.

Marc Lamy, ein französischer „Headhunter“, der Führungskräfte in die ganze Welt vermittelt, hat oft Mühe, diesen französischen Sonderfall im Ausland zu erklären. In Deutschland beispielsweise werden ein Drittel der Großunternehmen von Autodidakten geführt, die ihre Karriere nicht selten als Lehrlinge begonnen haben. Und während ein US-Manager seine Karriere in der freien Wirtschaft als Werbemittel einsetzt, bringt ein französischer Enarch in solchen Situationen sein Diplom und sein Adreßbuch ins Gespräch: „Ich gehöre zum selben Jahrgang wie XYZ“, sagt er, „X sitzt heute in der Bank, Y im Kabinett und Z an der Spitze der Konkurrenz.“

Enarchen bringen auch solide rhetorische Fähigkeiten mit. Da sie die alle in der ENA erlernt haben, unterscheiden sie sich in ihrer Diktion trotz unterschiedlicher politischer Couleur nur wenig. Gemeinsam ist den Enarchen auch, daß sie sich nur selten die Hände schmutzig machen und oft nur wenig aus eigener Erfahrung über ihr Unternehmen sagen können; der Stolz traditioneller Patrons auf ihre Produkte ist den Enarchen, die an der Spitze großer Unternehmen wie „Elf-Aquitaine“, „Société Génerale“ oder „SNCF“ stehen, völlig fremd.

Der letzte große französische Politiker, der stets vor den „Technokraten“ gewarnt hat, war der in der vergangenen Woche verstorbene François Mitterrand, der selbst einst Jura an einer normalen Universität studiert hatte. Doch auch er verfiel als Präsident der Effizienz der Enarchen. Aus dem berühmt gewordenen „Jahrgang Voltaire“ von 1980 holte er sich gleich mehrere Absolventen in sein Umfeld – drei von ihnen waren schon wenig später Minister.

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