piwik no script img

Katzen und Teufel starren uns an

■ 1991 war sie noch schockierend – jetzt erscheint schon das dritte große Heft der Berliner Comiczeichnerin Lillian Mousli

„Höhepunkt an Geschmacklosigkeit!“ „Sexismus und Unsensibilität!“ „Ihr habt sie doch nicht mehr alle!“ So schimpften empörte LeserInnen, als die taz im September 1991 Lillian Mouslis „Grusel- Alphabet“ veröffentlichte. Die 26 Comic strips, die Tag für Tag die „Wahrheit“ schmückten, sorgten für Aufregung und angedrohte Abokündigungen zuhauf.

Anlaß dafür waren Reime, wie sie eine Zeitlang auf Schulhöfen zirkulierten: „Alle Kinder schauen auf die Straße – außer Rolf, der klebt am Golf“ oder „Alle saßen um das Feuer – außer Brigitte, die stand in der Mitte“. Dazu Bilder von großäugigen Wesen mit Knopfnasen und klobigen Füßen. Vor düsteren Kulissen widerfährt ihnen allerlei Unglück. Mal werden sie von einer Viper gebissen, mal vom Auto überfahren oder vom „Trieb gehetzt“.

Schräge Perspektiven, verwunschene Landschaften und Fabelgestalten machen klar, daß sich das „Grusel-Alphabet“ in imaginären Welten bewegt. Das haben einige wohl nicht verstehen wollen, meint Mousli und fügt hinzu: „Jeder hat einen wunden Punkt, und es hat mir schon leid getan, daß ich bei manchen Leuten in den wunden Punkt gehauen habe. Aber manche Leute haben auch einen zu großen wunden Punkt.“ Und offenbar Schwierigkeiten, Wirklichkeit und Comic zu unterscheiden.

Die 35jährige Zeichnerin wirkt alles andere als zynisch oder spätpubertär, wie es in erbosten Leserbriefen immer wieder hieß. Eher ein wenig verträumt. Bei unserem Gespräch trägt sie ein farbverschmiertes Hemd und ausgebeulte Hosen. In der Küche ihrer Kreuzberger Wohnung hängen die Wände voll mit Entwürfen zu ihrem neuesten Comic, „Liebe in Zeiten der Drachen“, der im März beim Berliner Verlag Jochen Enterprises erscheint. Schlitzäugige Gestalten, Katzen und Teufel starren uns an – darunter einige Figuren, die schon in früheren Heften Mouslis auftauchten.

Etwa Susi, die in dem schmalen Band „Teufel“ Abenteuer in dunklen Gassen erlebt und jetzt am Bartresen den aus China entführten Drachen Ming beäugt. Oder Kitty, die Katze, die in „moron der schwachsinnige“ aus falsch verstandener Liebe sterben muß und im neuen Heft als beste Freundin des Protagonisten Tom aufersteht.

Auf den ersten Blick wirken Mouslis Zeichnungen kindlich- naiv. Das Unheimliche verbirgt sich unter der Bilderbuch-Oberfläche. Über eine ihrer Lieblingsfiguren, den Teufel, sagt sie: „Er symbolisiert eine Art von täglichem Grauen, das hinter jeder Straßenecke lauert.“ Die Geschichten verlaufen nie geradlinig, sondern vereinen seltsame Begebenheiten, ohne sich groß um Logik oder Pointen zu scheren. „Ich mag es nicht, wenn der Endgag in der Geschichte dominiert“, sagt Mousli. Das funktioniert in kurzen Bilderfolgen wie „Susi“ oder „Schandia“ aus dem Band „Teufel“ sehr gut, gerät aber ein wenig beliebig, wenn Mousli – wie in „Liebe in Zeiten der Drachen“ – eine Geschichte auf 80 Seiten ausdehnt.

Ihre Ideen zieht die Zeichnerin aus dem, was sie täglich beobachtet: „Das kann ein Gesicht in der U-Bahn sein, zu dem ich eine Geschichte erfinde.“ Oder ein Junge, der mehrere Tage „wie angewurzelt“ an einer Straßenecke steht. Daraus wird moron, eine Figur, die tagein, tagaus in einem Hof steht und dabei so allerlei sieht, was den anderen entgeht. Einen Mord zum Beispiel. Vorbilder aus anderen Comics hat Mousli nicht – auch deswegen, weil sie mit den „flachen Frauenfiguren“, die sich dort tummeln, wenig anfangen kann.

Tatsächlich sind die vollbusigen Abziehbildchen weit verbreitet – egal ob im kommerziellen oder im Underground-Comic. Männer zeichnen „eben für Männer, sagt Mousli. Und Frauen würden genau aus diesem Grund kaum Comics lesen und dementsprechend selten Comics machen. Zeichnerinnen wie Anke Feuchtenberger, Julie Doucet oder Roberta Gregory, die sich längst einen Namen gemacht haben, vergißt sie dabei offenbar.

Mousli selbst fand während eines Madrid-Aufenthalts vor fünfzehn Jahren zum Comic. Da sie kaum Spanisch sprach, vertrieb sie sich ihre Zeit mit Comiclektüre. Bald fing sie an, selbst zu zeichnen und veröffentlichte im Schweizer Magazin „Strapazin“, im Comicband „Schräge Schwestern“ von Elefanten Press, bei Jochen Enterprises oder Zyankrise. Nebenher gestaltet sie Plakate und Plattencover, denn allein von ihren Comics kann sie nicht leben – „es sei denn, ich hätte megahohe Auflagen, und die werde ich nie haben“, ergänzt sie.

Aus einer spezifisch weiblichen Perspektive zeichne sie nicht, glaubt aber doch, daß Frauen anders arbeiten als Männer: „Sie zeichnen weniger abstrakt, eher tagebuchmäßig.“ Ein Klischee, doch das ist schnell vergessen: Denn schließlich sprechen Mouslis Zeichnungen eine Sprache, der nichts ferner liegt als Stereotype. Cristina Nord

Comics von Lillian Mousli:

„Das Grusel-Alphabet“, Jochen Enterprises 1993

„Teufel“. Jochen Enterprises 1994

„moron der schwachsinnige“. Schokoriegel 20, Zyankrise, 1995

„Liebe in Zeiten der Drachen“. Jochen Enterprises, März 1996

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen