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■ Jüdische GemeindeÜberfälliger Rücktritt

Bis zum Beginn der gestrigen Repräsentantenversammlung war nicht klar, ob der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Jerzy Kanal, wirklich zurücktritt. Dennoch nähert sich das Ende einer Ära. Jahrzehntelang regierte in der Gemeinde der liberal-jüdische Block. Das Erbe Heinz Galinskis versuchte Kanal drei Jahre zu hüten. Allerdings mit wenig Fortune und wenig Verve. Seit Sommer 95 hatte er nicht einmal mehr die Mehrheit im Gemeindeparlament. In der öffentlichen Diskussion war Kanal so gut wie nie zu hören.

Insofern wäre sein Rücktritt nicht dazu geeignet, das öffentliche Ansehen der Gemeinde schwer zu beschädigen – auch wenn Kanal genau dies behauptet. Richtig ist das Gegenteil. Es ist allerhöchste Zeit, daß ein Vorstand, der sich vor allem dadurch auszeichnet, daß jeder mit jedem verschwippt, verschwägert oder gar verwandt ist, professionalisiert wird. Eine Gemeinde von über 10.000 Mitgliedern und mit einem Jahresetat von 45 Millionen Mark kann nicht geführt werden wie ein Küchenkabinett. Daß Kanal den Haushalt 1996 entgegen der Satzung den Repräsentanten bis heute nicht vorgelegt hat, zeigt nur, daß er seine Hausaufgaben nicht gemacht hat. Wenn Kanal jetzt die oppositionelle Demokratische Liste beschimpft, weil sie einer Blankobewilligung des Haushaltes nicht zustimmen wollte, ist das unsouverän und undemokratisch.

Der beste Weg, die vierzig Jahre alten Strukturen zu modernisieren, wären vorgezogene Neuwahlen des Gemeindeparlaments. Dies läßt die Satzung nicht zu. Deshalb muß sich die Repräsentantenversammlung am eigenen Zopf aus dem Sumpf ziehen. Bei der jetzigen Polarisierung und dem Stimmenpatt ist dies mehr als fraglich. Mit dem anstehenden Generationenwechsel haben die momentanen Konflikte jedenfalls nichts zu tun. Anita Kugler

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