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Vom Spionage- zum Finanzskandal

Nach Ministerpräsident Oleksy gerät jetzt auch Polens Präsident Kwaśniewski in die Schußlinie. Seine Partei soll sich mit einem KGB-Kredit Einfluß und Macht verschafft haben  ■ Aus Warschau Gabriele Lesser

„Ausverkauft!“ An vielen Warschauer Kiosken hing gestern bereits am Morgen nur noch das Titelbild des aktuellen politischen Magazins Wprost aus Posen: „Verrat!“ schrie das Blatt dem Leser in dicken gelben Lettern entgegen, darunter krochen vier ineinander verknäulte Giftschlangen über die rot-weiße Nationalfahne Polens. Der größte Spionageskandal Polens seit dem Zweiten Weltkrieg zieht immer weitere Kreise. Neben dem Ministerpräsidenten Jozef Oleksy, der seit Dezember letzten Jahres unter Spionageverdacht steht, ist nun auch der neue Präsident Polens, Aleksander Kwaśniewski, in die Schußlinie geraten. Außerdem fast die gesamte Führungsspitze der postkommunistischen Sozialdemokratischen Partei (SdRP), darunter Leszek Miller.

Miller, ein Betonkopf der alten Garde, wurde bis vor wenigen Tagen noch als Nachfolger Kwaśniewskis für den Parteivorsitz der SdRP gehandelt.

Wprost deckt den möglichen Hintergrund der Spionageaffäre auf: Einige der führenden SdRP- Politiker seien im Jahre 1990 vom KGB „gekauft“ worden. Damals löste sich die Polnische Vereinigte Arbeiterpartei (PVAP) auf, und Aleksander Kwaśniewski gründete die Nachfolgepartei SdRP mit völlig neuem Profil. Um die Parteigründung und die weitere Herausgabe der Parteizeitung zu finanzieren, brauchte die SdRP Geld. Mieczyslaw Rakowski, der letzte kommunistische Ministerpräsident Polens, und besagter Leszek Miller verhandelten mit dem KGB über einen Dollarkredit in Millionenhöhe, den sie auch erhielten.

In der Affäre um das „Moskauer Geld“ wurde Rakowski schon 1991 verhört. Doch hatte er stets behauptet, daß nicht die SdRP, sondern die PVAP das Geld gebraucht habe – angeblich zur Selbstauflösung. Doch in Wahrheit steckte die PVAP keineswegs in finanziellen Schwierigkeiten. Vielmehr besaß sie noch im Dezember 1989 mehrere Guthaben auf Konten in der Schweiz, in Amerika und in Polen: insgesamt 22,7 Millionen Schweizer Franken und 750.000 Dollar. Erst nach ihrer Gründung erhielt die SdRP rund 100.000 Mark von ihrer kommunistischen Vorgängerpartei.

Das „Moskauer Geld“, so Wprost, sei dazu genutzt worden, Einfluß auf die Welt der Wirtschaft und der Banken zu nehmen. Der Mechanismus war einfach: Vertrauenspersonen erhielten größere Summen als Kredite und zahlten diese dann nach Ablauf einiger Jahre mit Zinsen als anonyme Spende in die Wahlkasse der SdRP zurück. Auf diese Art und Weise konnte nicht nur die Wahl Kwaśniewskis finanziert, sondern auch ein Netz von Unternehmen und Stiftungen geschaffen werden, das – laut einem angeblichen KGB- Bericht – „von der SdRP kontrolliert wurde“.

Über den Kredit, so der öffentlich erhobene Vorwurf, habe sich die Führungsspitze der SdRP in die Abhängigkeit des KGB gegeben. Ob sie auch erpreßbar war oder sich nur zum verlängerten Arm des KGB gemacht hat, steht noch dahin. Aber heute geht es schon nicht mehr nur um die Vorwürfe gegen Oleksy, heute geht es darum, herauszufinden, wie viele Leute von der SdRP betroffen sind.

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