Schlangenschwung statt Pflug

■ Zdarskys Fahrtechnik revolutionierte den Skisport, doch noch heute wird nach Methoden gelernt, die die Gesundheit weniger schonen Von Michael Loose

Auch wenn Alberto Tomba einmal nur Zweiter wird oder gar bei einem Weltcup-Rennen ausscheidet, das enfant terrible bleibt dennoch der dominierende Slalomfahrer im Skizirkus dieser Tage. Dabei verfügt der Italiener über ein für Weltklasseleistungen eigentlich abträgliches Gewichtsverhältnis – sein Spitzname La bomba ist nicht nur als Ehrenbezeichnung zu verstehen. Die körperlichen Nachteile kompensiert das Kraftpaket durch eine besondere Technik, eben jene, mit der Mathias Zdarsky vor genau 100 Jahren den Skisport revolutionierte.

Vor Zdarskys Zeit wurde nach dem norwegischen Prinzip skigefahren. Die Menschen in Mitteleuropa orientierten sich an ihren Vorbildern: gefahren wurde im alpinen Gelände mit nordischen, langen Skiern, die Bindungen waren relativ lose. Das größte Problem dabei war, daß dieses Skigerät natürlich nicht für steile Hänge ausgelegt war, die deshalb zwangsläufig gemieden werden mußten.

Eine weitere Schwierigkeit bestand darin, einen Bogen zu fahren. Entweder verließ man sich auf die „Schuß-Bums-Technik“, die ein Hinwerfen in den Schnee verlangte, oder man wendete den „Pflug“ an – ein Verkanten mit gleichzeitiger Schrägstellung der Skier. Bei hohen Geschwindigkeiten führten beide Techniken regelmäßig zu gefährlichen Stürzen und schweren Verletzungen.

Zdarsky war der erste, der andere Wege ging. Er konstruierte zunächst eine seitenstabile Bindung, die es ihm erst ermöglichte, sich auch in alpines Gelände wagen zu können. Später entwickelte er zusätzlich eine Bogentechnik, die auch für steile Hänge geeignet war. Dieser sogenannte „Halbkreisschwung“ orientierte sich an dem „Galopp“-Prinzip. Das bedeutete eine Schrittstellung der Skier, wobei der vorangestellte Innenski belastet, der andere Ski total entlastet sein mußte. Der Körper driftete nun automatisch in eine Kurve.

Im Gegensatz zum „Pflug“ gab es kein Verkanten, die Skier standen parallel zur Auflagefläche. Wichtig war, daß eine Kurveninnenlage eingenommen wurde, wie sie schon vom Motorradfahren bekannt war. Wurde der Halbkreis ganz gefahren, konnte durch ein Aufrichten ein Richtungswechsel vollzogen werden. Eine Aneinanderreihung mehrerer Bögen wurde wegen des Musters im Schnee auch „Schlangenschwung“ genannt.

Zdarsky hat also nicht die Skienden von einer Seite des Körpers auf die andere verlagert, was typisch für den „Pflug“ war, sondern den Körperschwerpunkt gewechselt. Seine Technik hatte außerdem den Vorteil, daß sie erheblich schonender für den Körper war. Noch heute ist es hingegen ein Merkmal des „Pfluges“, daß Stürze an der Tagesordnung sind und es häufig zu Schädigungen – vor allem im Kniebereich – kommt.

Trotzdem ist der „Pflug“ in Skischulen immer noch das Maß aller Dinge und Bestandteil jedes Anfängerkurses. Geht die Schulung jedoch nicht über den „Pflug“ hinaus, wird in kritischen Situationen auf diesen vertraut und zurückgegriffen, was – wegen des hohen Verletzungsrisikos – genau das falsche Mittel ist. Fazit: Wäre nicht damals Mathias Zdarsky selbstbewußt an die Öffentlichkeit getreten, würde der Skirennsport vielleicht noch heute in den Kinderstiefeln stecken.