Sichtbar machen, was es noch gar nicht gibt

■ Aus zahlreichen Berufen ist die Computersimulation nicht mehr wegzudenken

Ein paar Sekunden, und das Haus ist fertig. Auf dem Bildschirm dreht sich der Bahnhof Westend – dreidimensional. Ein Klick, und der Computer taucht ein in das virtuelle Gebäude. Langsam schwebt man durch die leeren Räume im ersten Stock, gleitet die Treppe nach unten, bevor man sich die 360-Grad-Ansicht der Eingangshalle gönnt.

Entstanden ist der virtuelle Bahnhof an der Hochschule der Künste (HdK) in Berlin. Ihre Ausstellung planten die Studenten des Fachbereichs Visuelle Kommunikation zuerst am Bildschirm. Auf einem Hochleistungsrechner bauten sie den Bahnhof nach, hängten Bilder auf, stellten Skulpturen an ihre Plätze und wanderten per Mausklick durch die Ausstellung.

Die dreidimensionale Animation ist aus der Architektur, der Werbung, dem Design und der Wissenschaft nicht mehr wegzudenken. Städteplaner proben ihre Visionen zuerst am Computer. Designer entwerfen Autos statt auf dem Reißbrett am Bildschirm. Wissenschaftler bauen Moleküle am Rechner nach, und auch Zeichentrickfilmer kommen ohne Computerunterstützung nicht mehr aus. Die Hochschulen haben sich dem Trend angepaßt. Ob an der Akademie für Film in Ludwigsburg, an der TU Darmstadt oder an der Kunsthochschule für Medien in Köln – immer mehr Studenten nehmen an den 3-D-Seminaren teil.

„Man kann am Computer eine ganze Welt nachbauen“, schwärmt Christian Wilk, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Berliner HdK. „Die Möglichkeiten, die die 3-D- Animation bringt, sind noch nicht einmal ausgelotet, geschweige denn ausgeschöpft.“ Die richtige Software bietet ungeahnte Freiheiten. „Man kann am Bildschirm Sachen visualisieren, die es in Wirklichkeit überhaupt nicht gibt“, sagt Christian Wilk. In der Industrie schon lange ein gängiges Verfahren. Mercedes zum Beispiel entwirft die Innenräume der neuen Autos komplett am Rechner.

Computerfreak muß man nicht sein, um die 3-D-Animation zu lernen. „Eine gewisse Unbefangenheit gegenüber der Technik ist Voraussetzung“, erklärt Peter Barczewski, Assistent an der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam. „Man darf den Computer nicht als Orakel sehen.“ Aber etwas Geduld sollte man schon haben: Um mit der Technik gut umgehen zu können, muß man sich mindestens ein halbes Jahr damit beschäftigen. „Der Umgang mit Computern ist heute fast so alltäglich wie die Fahrerlaubnis“, erklärt Barczewski. „3-D ist ungefär so wie ein P-Schein.“ [Personen-Beförderungsschein; d. Red.]

Der Markt der 3-D-Animation boomt. Walt Disney bringt mit „Tin Toys“ gerade seinen ersten volldigitalen Film raus. Das Fernsehen hat die virtuellen Studios entdeckt, und auch Computerspiele locken mit 3-D-Animationen. Doch trotz der rosigen Aussichten darf die gestalterische Seite nicht fehlen. „Der Computer ist nur ein Werkzeug“, erklärt Christian Wilk. „Die kreativen Fähigkeiten muß jeder selber mitbringen.“ Falk Zielke