: Einarmiger Theaterbandit
■ Thalia: Jürgen Gosch inszenierte Peter Handkes „Die Stunde da wir nichts voneinander wußten“
Hätte man das Gestühl entfernt, Bistrotische aufgestellt und an den Seiten Tresen installiert, damit die Menschen dabei schwätzen, flirten und trinken, es hätte ein großartiger Abend werden können. So aber verrannen die zwei Stunden in denen wir nichts voneinander wußten, um Handkes Titel der Dauer anzupassen, in Jürgen Goschs zweiter Regie-Version am Thalia vor einem vielerorts gähnenden und müde lächelnden Publikum.
Goschs erste Version des Stücks, aufgeführt als deutsche Erstaufführung in Bochum, soll ein Erfolg gewesen sein. Die Hamburger Premiere aber war, um den Kollegen Helge Hopp von der Woche zu zitieren, „Ambient-Theater“: Tapeten-Schauspiel, das als Nebensache für einen fröhlichen Abend dann auch gerne vier Stunden hätte dauern können.
Das Stück, in dem kein Wort fällt, krankt am Aufwand. Die Kollegin von der dpa, die scheinbar mitgezählt hat, spricht von 300 Auftritten. Diese sind größtenteils nur wenige Sekunden lang und zeigen öfters mehrere Personen, die alle mit einem eigenen Kostüm ausgestattet sind. Diese hat dpa leider nicht mehr gezählt, aber es können wohl knapp tausend sein. Da man sich ein Bühnenbild gespart hat – nur eine Bahn Landstromleitungen zieht sich durch die Luft – schien dieser Ausstattungsrekord wohl gerechtfertigt. Andrea Schmidt-Futterer muß dafür mindestens ein Jahr gezeichnet haben.
Was mit dieser bunten Boutique des Lebens abläuft, dürfte ungefähr dem entsprechen, was ein emsiger Dichter auf einem Platz beim Rotwein sitzend sieht und hinzuassoziiert. Das brav aufgeschrieben und wieder abgespielt ist das Stück. Drum treffen sich Fußballer mit Tarzan, Aeneas mit französischen Veteranen, Bäuerinnen mit Lebedamen und Leute, die sich verwechseln. Menschen rauchen, küssen, rempeln sich, Bote, Bäume, alte Japanerinnen werden über die Bühne getragen, kurze Szenen zwischen Lieben und Sterben und Geräusche ergänzen den einarmigen Theaterbanditen. Eine Stunde lang mit gutem Timing und gefedert mit lustigen Regieeinfällen mag man sich das auch im Theater anschauen. Aber diese drei Vorraussetzungen treffen hier leider alle nicht zu.
Abgesehen von wenigen skurrilen Momenten, für die meistens Sven-Eric Bechtolf oder Hans Kremer verantwortlich sind, geschieht auf der Bühne wenig, für das man Geld ausgeben müßte. Und man ermüdet an der Sicherheit, mit der gleich wieder eine neue Figur auftreten wird, deren Existenzdauer nicht zur Neugiererweckung reicht. Da schimpfe am Theater noch einmal jemand auf die Zapping-Kultur und MTV.
Marina Wandruzka, die mitgespielt hat, wie das ganze restliche Ensemble auch, erzählte später, wie absurd-komisch es hinter der Bühne zugegangen sei, wo 42 Schauspieler unentwegt und schweigend in Sekundenschnelle ihre Kostüme wechseln mußten. Das hätten wir gerne vorne auf der Bühne gesehen. Till Briegleb
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen