: Doppelstrafe gegen Kriegsdienstgegner
■ Härtere Gangart gegen Wehrdienstverweigerer: Zwei Fälle mit grundsätzlicher Bedeutung werden ab heute vor Gericht verhandelt. Nach der Verurteilung soll es eine neue Einberufung geben
Zwei wegweisende Verfahren gegen Wehrdienstverweigerer werden ab heute verhandelt. Im Zentrum des ersten steht der Umgang mit Totalverweigerern, die sich schon in der DDR dem Dienst entzogen haben. Im anderen geht es um die Möglichkeit der Doppelbestrafung.
Seit 1990 prüft die Bundeswehr die Akten der Nationalen Volksarmee der DDR, um noch nicht gediente Ostdeutsche einzuziehen. Auch diejenigen, deren Verweigerung in der DDR nicht bestraft wurde, müssen sich auf eine Verhandlung ihres Falles gefaßt machen. Heute beginnt um 13 Uhr der Prozeß gegen den 26jährigen Totalverweigerer Oliver Blaudszun vor dem Amtsgericht Tiergarten. Der wegen „Fahnenflucht“ angeklagte Blaudszun sitzt seit November 95 in Untersuchungshaft, nachdem er schon in der DDR 14 Monate wegen „Republikflucht“ im Gefängnis verbrachte. Zu fliehen versucht hatte er, um dem Armeedienst zu entgehen.
Der Prozeß gegen ihn ist der Auftakt zu dem, was Carsten Dannel, friedenspolitischer Sprecher der Jungdemokraten, die „härtere Gangart“ im Umgang mit Wehrdienstverweigerern nennt. Auch Dannel, 23 Jahre alt, muß diese Woche vor Gericht antreten. Sein Vergehen, über das vor dem Landgericht verhandelt wird, heißt in der Anklageschrift „Dienstflucht“: Nach neunmonatiger Zivildienstzeit brach Dannel im Dezember 1993 seinen Zivildienst aus Gewissensgründen ab. In erster Instanz wurde er vom Amtsgericht dafür zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 20 Mark verurteilt. Am Donnerstag ab 9 Uhr wird in zweiter Instanz verhandelt; die Staatsanwaltschaft hatte gegen das Urteil Berufung eingelegt. In der Anklageschrift fordert die Staatsanwaltschaft jetzt nach Angaben Dannels sechs Monate Freiheitsentzug auf Bewährung als „Generalprävention“, da die Disziplin Dannels an einer künftigen Zivildienststelle ohne hohe Bestrafung nicht herzustellen sei.
In dieser Begründung liegt die neben der härteren Bestrafung eigentliche Brisanz der Entwicklung: Dannel wird verurteilt und soll danach wieder einberufen werden. Die Schleife aus Verweigerung, Bestrafung und Einberufung ist beliebig wiederholbar. Stefan Frieling von der „Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär“ dazu: „Erstens verstößt er bei einer weiteren Weigerung gegen seine Bewährungsauflagen, und zweitens begeht er mit einer neuen Verweigerung eine weitere Straftat.“ Das Bundesverfassungsgericht, das wegen solcher Doppelbestrafung einer einzigen Tat, der Verweigerung, angerufen wurde, stellte sie mit Alimenten- und Steuerzahlung gleich. Danach ergibt sich bei jeder erneuten Verweigerung eine weitere Straftat. „Kampagne“-Sprecher Christian Herz interpretiert diese Doppelbestrafung, die Carsten Dannel in Aussicht gestellt wird und Oliver Blaudszun jetzt schon treffen wird, als Versuch, auf juristischem Weg die hohen Verweigererzahlen zu drücken. Barbara Junge
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen