: Leben für Profit
Die geplante Novelle des Tierschutzgesetzes wird den Nutztieren keinen Nutzen bringen ■ Von Timo Rieg
„Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“ Das ist der Leitsatz des gültigen Tierschutzgesetzes, und das soll er auch nach der anstehenden Novellierung bleiben.
In einer Legebatterie quetschen sich 24 Hennen auf einem Quadratmeter Drahtgitter. Doch die damit einhergehenden Schmerzen, Leiden und Schäden sind vernünftig begründet – denn wer den Pfennig nicht ehrt ...
Seit 1992 bemühen sich Bundestag und Bundesrat um die Novellierung des Tierschutzgesetzes. Das Ende dieses Verfahrens ist noch nicht abzusehen, sein Ergebnis sehr wohl: Den Tierschutz wird es nicht weit nach vorne bringen. Die Völlerei von der Käseplatte bis zur polnischen „Flugente“ wird es in dieser Form und zu diesem Preis weiterhin geben, weil das Tierschutzgesetz für seinen größten Zuständigkeitsbereich keine nennenswerten Vorgaben macht: die industrielle Tiernutzung.
Beispiel Huhn: 42 Millionen Legehennen werden in Deutschland in Betrieben mit mehr als 3.000 Tieren gehalten, 40 Millionen davon in Käfigen, in denen jedem Tier eine Drittel taz-Seite als Lebensraum dient. In Freilandhaltung hingegen müssen nach EU- Norm jedem Tier mindestens zehn Quadratmeter – also 70 taz-Seiten – unter freiem Himmel zur Verfügung stehen. Die VerbraucherInnen haben diesen Quantensprung der huhnschen Lebensqualität mit zwei Groschen je Ei zu honorieren – offenbar unzumutbar für Volk und Standort Deutschland. Anders ticken die Uhren in der Schweiz. Dort ist die im Lande mit dem „besten Tierschutzgesetz der Welt“ (Jochen Borchert über Deutschland) übliche „Käfigung“ von Hühnern seit 1990 verboten.
Seit Jahr und Tag fordern Tierschutzverbände das Verbot von Käfighaltung auch in Deutschland. „Eine nette Idee, aber fernab der Realität“, lautet die Reaktion aus dem Landwirtschaftsministerium. „Natürlich ist das machbar“, kontert der erfolgreiche Halter von 6.000 Hühnern Heinz-Wilhelm Selzer, der für den Bund Freiland- und Bodenhaltungsbetriebe kontrolliert.
Beispiel Schwein: Von den unwürdigen Haltungsbedingungen abgesehen soll auch künftig das betäubungslose Kastrieren erlaubt bleiben. Politisch entscheidend ist nicht die Frage, ob das Narkotisieren der Ferkel medizinisch möglich und sinnvoll ist, was Tierärzte klar bejahen, sondern welche Auswirkungen dies auf die Wettbewerbsfähigkeit hätte. Die zweite Frage beantworten die Parteien eindeutig: Von Union bis Bündnisgrüne ist in den Gesetzentwürfen eine Beibehaltung dieser schmerzhaften Prozedur vorgesehen.
Nicht einmal eine Lokalanästhesie mit Kältespray, wie von der Bundestierärztekammer gefordert, wird vorgeschrieben. Denn jeder Handgriff mehr macht sich bemerkbar, bei rund 20 Millionen Kastrationen im Jahr – deren Notwendigkeit äußerst fragwürdig ist. Denn erst ab etwa 80 Kilogramm Körpergewicht hat die Aktivität der Hoden Auswirkungen auf den Geschmack von Eberfleisch. „In Wurst mit Sauenfleisch gemischt oder mit Gewürzen wie Knoblauch angemacht schmeckt das niemand“, sagt ein namhafter Veterinär mit der Bitte, mit dieser Äußerung nicht in Zusammenhang gebracht zu werden. Es sei deshalb nur angemerkt, daß Eber in England nicht kastriert werden.
Beispiel Tiertransporte: Mittlerweile kennen die meisten TV- ZuschauerInnen Bilder von Rindern, die nach oft tagelanger „Beförderung“ (so der Tierschutzbericht der Regierung) im Schlachthof mehr tot als lebendig ausgeladen werden. Die aus Tierschutzsicht einzig vertretbare Methode ist die Hofschlachtung, wo die Tiere in vertrauter Umgebung schmerzlos – wie es seit langem vorgeschrieben ist – betäubt und dann getötet werden.
Obwohl auch die Bundesregierung klar bekennt, daß Tiertransporte eine „große Belastung“ für die Tiere darstellen, sieht sie in ihrem Tierschutzbericht für die „immer wieder vorgetragene Anregung, Schlachttiere möglichst nur bis zum nächstgelegenen Schlachthof zu transportieren“, aus „Wettbewerbs- und Praktikabilitätsgründen“ keine Chance. Da innerhalb der EU zu viele Rinder gezüchtet werden und vor allem ausrangierte Milchkühe überzählig sind, müssen sie exportiert werden.
Lange Tiertransporte sind lukrativ: 95 Ecu (181 Mark) Zuschuß gibt es zum Beispiel je 100 Kilo lebendes Rind für Exporte in den Nahen und Mittleren Osten oder nach Afrika. Den Zuschlag zahlt die EU, weil gläubige Muslime nur geschächtetes Fleisch essen. Doch da das unbetäubte Ausbluten von Tieren bei uns verboten ist, werden die Tiere eben lebend auf die weite Reise geschickt.
Das Verfahren zur Novellierung des Tierschutzgesetzes läuft seit 1992 – mittlerweile in der zweiten Runde. Dabei gibt es an den meisten Änderungen gar nichts zu diskutieren: Es sind längst überfällige Umsetzungen von EU-Richtlinien. Darüber hinaus verlangt der Regierungsentwurf nur mehr Sachkundenachweise für den Umgang mit Tieren. Ansonsten ist sogar eher an eine Lockerung bestehender Bestimmungen gedacht. So soll die nachträgliche Änderung von Tierversuchsvorhaben keiner behördlichen Genehmigung mehr bedürfen, wenn „die Zahl der Versuchstiere nicht wesentlich erhöht wird“. Auch das neue Tierschutzgesetz wird also deutlich hinter den Forderungen der Bevölkerung bleiben. So bleibt es an ihr, die Politik zu machen: zum Beispiel durch ihre Kaufentscheidung am Eierregal oder der Fleisch-Kühltheke.
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