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Unsicherer Status macht krank

■ Neue medizinisch-psychiatrische Ambulanz für Flüchtlingskinder, die unter Kriegserfahrungen leiden, in der Kattunbleiche Von Patricia Faller

Sie trauern um das, was sie verloren haben – ihr Zuhause, ihre Familie, ihre Freunde. Einige der Flüchtlingskinder wurden gefoltert, verfolgt oder sexuell mißbraucht. Kriegs- und Exilerlebnisse haben Flüchtlingskinder und -jugendliche in hohem Maße psychisch verletzbar gemacht, das ist die Erfahrung der Ärzte und Psychologen der Kinder- und Jugend-psychiatrie des UKE. Etwa zehn Prozent ihrer PatientInnen sind asylsuchende Kinder.

Doch die unübersichtliche Klinik schreckt viele davon ab, dort Hilfe zu suchen. Deshalb bietet die Abteilung jetzt zusammen mit dem Landesbetrieb Erziehung und Berufsbildung (LEB) und dem Kinderhilfswerk Unicef Deutschland eine spezielle Ambulanz in der Kattunbleiche an. Gestern wurde das bundesweit einmalige Modellprojekt, das Flüchtlingskindern und ihren Familien durch Beratung, Psychotherapie und psychiatrische Versorgung helfen soll, vorgestellt.

Schätzungen zufolge leben etwa 10.000 Flüchtlingskinder in Hamburg, davon etwa 3000 als minderjährige unbegleitete Flüchtlinge. Erste Anlaufstellen für diejenigen, die ohne Angehörige nach Deutschland kommen, sind die speziellen Einrichtungen des LEB. „Aufgrund der Gewalt- und Verfolgungserfahrungen der Kinder sind deren Betreuer aber häufig überfordert“, erklärt Herbert Stellter, Referent für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge beim LEB. Die Kinder reagieren zum Teil aggressiv, rasten von einer Minute zur anderen aus oder sie sind apathisch, tief traurig, psychotisch und einige sogar suizidgefährdet.

„Die Kinder leiden unter extremen inneren Spannungen, die verhindern, daß sie hier irgendwelche Perspektiven entwickeln können“, so der Arzt Hubertus Adam vom Ambulanz-Team, das sich aus zwei Medizinern und einem Psychologen zusammensetzt.

Die Ambulanz steht Flüchtlingskindern und ihren Familien offen, unabhängig von ihrem aufenthaltsrechtlichen oder versicherungsrechtlichen Status. Die Erfahrung des Ambulanz-Teams und der Betreuer des LEB ist, daß sich das Verhalten der Kinder stabilisiert, sobald ihr Aufenthaltsstatus gesichert ist. Sie fordern deshalb zusammen mit Unicef Deutschland, daß Flüchtlingskinder unter 18 Jahren aus dem Asylverfahren herausgenommen werden.

Das Ambulanz-Angebot richtet sich auch an Vormünder der Flüchtlingskinder sowie an deren BetreuerInnen. Sie können sich Rat holen bei Einzelfall-Supervisionen oder in den sogenannten „Fallkonferenzen“, zu denen sich Sozialarbeiter, Psychologen und Mediziner zweimal im Monat zum Erfahrungsaustausch treffen.

Darüber hinaus veranstaltet die Ambulanz ein regelmäßiges Forum zur konzeptionellen Verbesserung der Versorgungsstrukturen. Ihr Ziel ist es auch, den in der Praxis auftretenden Fragestellungen in spezifischen Forschungsvorhaben nachzugehen und entsprechende Ergebnisse für die Praxis nutzbar zu machen. Große Bedeutung mißt man dem internationalen Erfahrungsaustausch bei. Dabei geht es unter anderem auch um die Fragestellung: Was wird aus den Generationen, die mit Krieg aufgewachsen sind?

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