: Pleite teurer als Rettung?
Daimler und Den Haag schieben sich Schwarzen Peter für Fokker-Absturz zu ■ Aus Amsterdam Ed van Zutphen
Die Schuld an der Fokker- Pleite will keiner auf sich nehmen. Daimler-Mann Jürgen Schrempp meint, die niederländische Regierung hätte sich nicht bewegt, wollte nicht 1,3 Milliarden Mark zahlen. Der Haager Wirtschaftsminister Hans Wijers: Nein, „die Deutschen haben schuld, sie wollten ein Diktat. Die Deutschen sind Schacherer.“ Vermittler Floris Maljers: „Ich habe noch nie eine Verhandlung erlebt, bei der sich eine Seite so wenig bewegt hat.“ Diese, die sogenannte deutsche Seite, also Daimler-Benz, operierte überraschenderweise mit anderen Zahlen als die niederländische Regierung. Premier Wim Kok und Wirtschaftsminister Hans Wijers sprachen die letzten Tage davon, daß Daimler-Benz etwa 3 Milliarden Gulden (2,7 Milliarden Mark) gefordert hätte. Schrempp: „Das ist falsch. Wir hätten 1 Milliarde Mark gezahlt, wenn Den Haag 1,3 Milliarden bezahlt hätte. Die Altschulden von 800 Millionen Gulden (720 Millionen Mark) hätten wir zurückgezahlt, wenn Fokker wieder Gewinn gemacht hätte.“
Am schwarzen Montag, dem Abschiedstag Fokkers, herrschte in den Niederlanden eine unglaubliche Spannung. Das Radio berichtete unaufhörlich über die Entwicklungen bei der älteseten Flugzeugfirma der Welt. Die Zeitungen quollen über vor Berichten. Live- Reportagen, Analysen, Interviews – kein Aspekt des Fokker-Dramas wurde ausgespart.
Die Mehrzahl der 7.900 Arbeitnehmer rückte gestern wieder in die Werke ein. Der Fokker-Aufsichtsrat tagt hektisch, die Dasa- Vertreter rückten Montag abend im Sonderflugzeug an, gaben ihren Auszug aus dem Aufsichsrat bekannt und brausten nach Stuttgart zurück. Der erste Übernahmekandidat, der kanadische Regionalflugzeugbauer Bombardier (De Havilland), winkte zunächst ab. Im Bombardier-Werk Shorts in Belfast, dem größten Maschinenbaubetrieb Nordirlands und Lieferant von Fokker-Flügeln, verlieren jedoch 1.500 Menschen ihren Job. Kaufkandidat und Konkurrent Britsh Aerospace will keinen Kommentar geben. Die Konzesequenzen für die Dasa-Zulieferer in Hamburg, Dresden und Bremen sind weiter unklar, der Betriebsrat sieht 1.000 Arbeitsplätze noch über das Sanierungsprogramm Dolores hinaus gefährdet.
Das sich langsam herauskristallisierende Fokker-Pleiteszenario kostet absurderweise nicht viel weniger als das bis Montag mögliche Rettungsszenario. Daimler Benz hat in der 95er Bilanz 2,3 Milliarden Mark Abschreibungen für Fokker zurückgestellt. Die Haager Regierung wird in den kommenden Jahren eine Milliarde Gulden für Arbeitslosengeld und später Sozialhilfe ausgeben müssen. Dazu will Den Haag 300 Millionen bereitstellen, um Fokker noch mindestens einen Monat am Laufen zu halten. In dieser Zeit sollen die weiteren Szenarien angesehen werden. Die Fabriken in Hoogeveen und Woensdrecht werden wahrscheinlich so oder so überleben – und die 1.500 Fokker-Angestellten werden damit nicht zum Arbeitsamt müssen.
Die Daimler-Aktie sackte nach der Fokker-Pleite und den angekündigten sechs Milliarden Jahresverlust für 1995 gestern erst mal um 15 Mark auf 758 Mark. Doch von den Banken wurde die Umstrukturierung begrüßt, weil langfristig bessere Gewinne winken.
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