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Lübecks Bürgermeister Michael Bouteiller setzt sich energisch für die Überlebenden der Brandkatastrophe ein: Wohnungen für sie sind schon gefunden. So mancher Lübecker sieht das nicht gern und möchte Bouteiller am liebsten aus dem Amt hieve

Lübecks Bürgermeister Michael Bouteiller setzt sich energisch für die Überlebenden der Brandkatastrophe ein: Wohnungen für sie sind schon gefunden. So mancher Lübecker sieht das nicht gern und möchte Bouteiller am liebsten aus dem Amt hieven.

„Wir sind alle Lübecker“

Noch bis Mitte letzter Woche galt Michael Bouteiller seinen sozialdemokratischen Parteifreunden nicht gerade als entschlußfreudiger Mann. Betroffenheit? Ja, die war von ihm immer zu haben, gratis sozusagen. Seit dem Brandunglück in der Nacht zum Donnerstag kommt der Bürgermeister Lübecks seinen Gefolgsleuten dagegen wunderlich vor. Gewiß, es ist Wahlkampf in Schleswig-Holstein. Am 24. März muß immerhin eine hohe SPD-Zustimmung wiedergewonnen werden – aber Bouteiller wirkt seit einer knappen Woche so entschieden, ja aggressiv wie seit seinem Amtsantritt 1988 nicht.

Die Berichterstattung der Lübecker Nachrichten, die gestern mit der Schlagzeile „Eine Stadt sucht die Wahrheit“ die polizeilichen Ermittlungen präsentierte, kommentiert er prompt scharf. Keineswegs, so Bouteiller, habe er vorschnell reagiert, als er noch vor der qualmenden Ruine den überwiegend schwarzafrikanischen Asylbewerbern versprach, daß sie bald nicht mehr in Heimen leben müßten, sondern in reguläre Wohnungen wechseln könnten. Es sei nicht Aufgabe der Stadt, nun nach der Wahrheit zu suchen, sondern die der Polizei. „Lübeck muß auf die Brandkatastrophe vor allem menschlich reagieren. Mit mehr Engagement für diejenigen, die hier nur noch geduldet werden. Und mit einem Verständnis, daß die Asylbewerber nicht ausgrenzt.“ Nach einer kurzen Sprechpause flüsterte er dann schmallippig: „Wir sind alle Lübecker. Wir müssen alle helfen. Oder will das etwa die CDU bestreiten?“

In der Tat geht mit Bouteiller ein sozialdemokratischer Bürgermeister erstmals offensiv gegen ein Alltagsbewußtsein vor, nach dem Ausländern alles und Deutschen nichts gegeben wird: „Wir haben in den letzten Jahren allen Deutschen, die danach fragten, Wohnungen vermittelt. Jetzt müssen die integriert werden, die wir oft vernachlässigt haben“, lautet deshalb sein Plädoyer.

Lübeck sechs Tage nach dem Brand. Am Eingang der mittlerweile umzäunten Brandruine an der Neuen Hafenstraße 52 liegen verwelkte Blumen. Im Haus beginnen die Aufräumarbeiten. Manchen Bürgern ist der Ort zum Ausflugsort geworden, es wird fotografiert und bedauert: „Schrecklich, das Unglück“, sagt ein 77jähriger Pensionär nach etlichen Schnappschüssen. Er plädiert allerdings wie viele andere Lübecker dafür, den Bürgermeister aus dem Amt zu hieven. „Wir können doch nicht alle reinlassen. Oder sollen wir als Deutsche alle nach Afrika?“

Bouteiller und seine Leute wissen um diese Stimmung und wollen sich dennoch nicht in die Knie zwingen lassen: Sie haben alle vom Brandunglück betroffenen Gruppen an einen Runden Tisch geholt. Die ersten Ergebnisse: Seit gestern nacht patrouilliert ein privater Sicherheitsdienst regelmäßig an den Asylbewerberheimen vorbei. 1.000 Mark pro Person stehen zur Verfügung, um die Brandopfer neu einzukleiden, nicht aus Second-Hand-Ware, sondern aus normalen Geschäften. Außerdem, so Bouteiller, sollten alle Asylbewerber, die schon vor 1993, also vor der Änderung des Asylrechts in Deutschland lebten, hierbleiben dürfen. „Die sind schon so lange im Lande, daß man sie nicht mehr wegschicken kann.“

Dringend freilich, so Bouteiller und Iwer Rinsche vom Diakonischen Werk Lübecks einhellig, sei jetzt die Klärung der Wohnungsfrage. Bislang dürfen abgelehnte Asylbewerber nicht aus den Heimen ausziehen. Doch die Opfer der Brandnacht wollen um keinen Preis wieder in eine der Sammelunterkünfte. „Für die ist Heim gleichbedeutend mit Hölle“, sagt Rinsche. Spätestens Ende der Woche sollen diejenigen, die in der Neuen Hafenstraße wohnten, in Wohnungen untergebracht worden sein. „Wir müssen miteinander sprechen, weil es wirklich nicht leicht ist, für eine achtköpfige Familie eine Wohnung zu finden“, so Bouteiller. Immerhin konnte bis gestern genügend Wohnraum für die unmittelbaren Opfer gefunden werden.

Das Diakonische Werk, dem pikanterweise durch Ratsbeschluß erst vor wenigen Wochen die Hälfte der Stellen für die Asylbewerberarbeit gestrichen wurde, findet den Plan, die Heime weitgehend aufzulösen, allerdings problematisch: „Es macht unsere Arbeit der Integration nicht leichter, wenn die Betroffenen über die ganze Stadt verteilt sind“, meint Rinsche, „das kostet nur Fahrzeit und Benzin.“

Auch seien die Schulen im Stadtteil St. Gertrud bestens vertraut damit, Ausländer in die Stadt zu integrieren. Die nun ausgelobten Wohnungen liegen teilweise in Stadtteilen, die nicht gerade für ein reibungsarmes Zusammenleben von Ausländern und Deutschen bekannt sind. Dennoch bevorzugen die Asylbewerber den Umzug in reguläre Wohnungen.

Bouteiller will den Umzugsplan „immer in Abstimmung mit den Betroffenen“ umsetzen: „Wenn alle in meiner Stadt sich zusammenraufen, kann es nicht schiefgehen.“ Bacar Gadji von der Afrikanischen Gemeinde zu Lübeck nickte bei diesem Satz. In fließendem Deutsch fügte er hinzu: „Wir sehen uns nicht nur als Flüchtlinge in dieser Stadt, wir sehen uns als Lübecker.“ Jan Feddersen, Lübeck

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