piwik no script img

Sternstunde oder Hor(r)o(r)skop?

Drei Monate nach der Wahl wird heute die neue Landesregierung gewählt. Zehn neue und alte SenatorInnen trotten „Häuptling Großer Bär“ treu hinterher. Vier Neulinge wärmen sich am Lagerfeuer im Roten Rathaus. Auch Ex-Sozialsenatorin kommt im Wigwam unter.

Schütze

Eberhard Diepgen

Jeder Schuß ein Treffer! Der 55jährige hat den Bogen bis zur Schmerzgrenze gespannt, auf die SPD gezielt – und gewonnen. Auf das Konto dieses farblosen Mannes ohne Visionen geht die Neuauflage der Großen Koalition. Fortan wird Diepgen zum dritten Mal als Senatschef die Berliner christdemokratische Schützengilde anführen. Einen Mangel an Beharrlichkeit kann man ihm wahrlich nicht vorwerfen. Seit über dreißig Jahren holt sich Diepgen sein Schießpulver bei den Christdemokraten. Mit seinem Freund

Klaus-Rüdiger, dem CDU-Fraktionschef Landowsky, bastelte er schon in den sechziger Jahren während seines Jurastudiums an seiner Karriere. Mit Ausnahme der rot- grünen Koalition, die 1989 kurzerhand Diepgen vom Stuhl des Regierenden herunterschoß, ist bislang alles glattgelaufen. Die Astrologin rät: Wer den Bogen überspannt, muß damit rechnen, daß er reißt. Daher gilt es, stärkere Rücksicht auf die CDU-Schützen zu nehmen, von denen einige auf dem letzten Parteitag nicht mehr ins selbe Horn blasen wollten.

Schütze

Jürgen Klemann

Als geschäftstüchtiger Schütze und langjähriges Beiratsmitglied von Hertha 03 Zehlendorf hätte der 51jährige Jürgen Klemann die erdenklich beste Qualifikation als Chefverkäufer in einem Fachgeschäft für Sportartikel gehabt. Statt dessen wurde der Vater eines Sohnes und frühere CDU-Schulsenator nun auf den Posten des Senators für Bauen, Wohnen und Verkehr gehievt. Was der gelernte Jurist von Wohnungsmarkt und Verkehrslenkung verstehen soll, das steht in den Sternen. Die Astrologin meint: Sie werden es dennoch leicht haben. Als Nachfolger von Herwig Haase fällt man schon positiv auf, wenn man die Ampelfarben unterscheiden kann. Doch ob der ehemalige Landesvize der CDU diese fachliche Eignung mitbringt, steht wirklich in den Sternen. Denn in seinem Job als Senator für Schule, Berufsbildung und Sport hat Klemann mit Farblosigkeit brilliert.

Zwilling

Beate Hübner

Die 40jährige Diplommedizinerin und bisherige CDU-Abgeordnete aus dem Wahlkreis Marzahn wurde unter dem Sternzeichen Zwilling geboren. Die Sterne haben es so gewollt, daß die vierfache Mutti als CDU-Senatorin ein Doppelressort – Gesundheit und Soziales – führen wird. Die doppelte Hübner muß sich nun beizeiten entscheiden, welche Beate für Gesundheit und welche für Soziales zuständig ist. Die Astrologin rät: Stellen Sie beide Beates für Gesundheit ab, und stellen Sie Ihren Staatssekretär Detlef Orwat in den Kühlschrank, sonst spielt der wie schon unter Ihrem Vorgänger Peter Luther doppelte Amtsführung. Die einzige Frau bei der CDU hat beste Chancen, sich einen Namen zu machen. Denn bisher ist die gelernte Krankenschwester der breiten Öffentlichkeit gänzlich unbekannt. Als stellvertretende Vorsitzende im Gesundheitsausschuß arbeitete sie eher unauffällig.

Jungfrau

Christine Bergmann

Die 56jährige gebürtige Dresdnerin bleibt, was sie war: Arbeits- und Frauensenatorin sowie Bürgermeisterin. Auch ihr Markenzeichen bleibt: das sanfte Sächseln. Die Pharmazeutin und Mutter zweier Töchter, die sich erst in den letzten DDR-Jahren in der Bürgerbewegung engagierte, startete ihre politische Senkrechtkarriere direkt nach der Wende im SPD- Ortsverein Hellersdorf. Auch mit der Promotion ließ sie sich Zeit. Erst im reifen Alter von 50 Jahren erwarb Bergmann den Doktortitel. Christine Bergmann ist eine typische Jungfrau: sachlich, ordentlich, prinzipientreu. Die Astrologin rät: Geben Sie Obacht, Sie sind absturzgefährdet! Trotz Ihrer Liebe zu diesem Sport sollten Sie Ihren nächsten Skiurlaub sausenlassen. Denn die „Dreifach-Quote“ Ost, Frau und Mitglied im SPD-Bundespräsidium ist zwar eine sichere Bank, doch auch nicht lawinensicher.

Skorpion

Elmar Pieroth

Der 61jährige Sohn des Weingutbesitzers Philipp Ferdinand Pieroth bringt als neuer CDU-Wirtschaftssenator ökonomische Erfahrungen mit. Der in Bad Kreuznach geborene katholische Diplompolitologe übernahm zusammen mit seinem jüngeren Bruder die Weinkellerei seines Vaters. Durch den Glykol-Weinskandal schwer belastet, ging das Weinhandelshaus 1985 fast pleite, 1990 leitete die Staatsanwaltschaft gar ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts auf Betrug und Falschaussage ein. Der Vater von sechs Kindern entschloß sich, seine Erfahrungen in der Politik fruchtbar zu machen. Nun, seit 1981 fast ununterbrochen Wirtschafts- und Finanzsenator, hat er sein Ziel beinahe erreicht: Berlin steht vor dem Bankrott. Die Astrologin rät: Gehen Sie besser nach Kreuzberg! Dort, auf dem gleichnamigen Berg, harrt der letzte Weinberg Berlins Ihrer kundigen Hände.

Fisch

Peter Radunski

Schwamm bislang als Europa- und Bundessenator zwischen Spree und seinem Bonner Sitz am Rhein. Als ausgebuffter Politikmanager führte er seinen Eberhard auch diesmal wieder an die Spitze. Statt Wahlkämpfe zu führen, darf der 56jährige sich nun mit empfindlichen Kulturschaffenden und Wissenschaftlern anlegen. Sinn für das Neue und Streitbare wird Radunski seit langem nachgesagt: In der CDU zählt man ihn zu den sogenannten 68ern. Maßgeblich war er daran beteiligt, der einst vermufften Adenauer-Partei ein moderneres Kleid zu verpassen und das einstige Berliner Bollwerk SPD zu brechen. Die Astrologin meint: Auch wenn Radunksi der kleinste aller Senatoren ist, so leicht macht ihm keiner was vor. Am besten dürfte er verstehen, was so manchem seiner Kollegen in fünf Jahren fremd geblieben ist: wie man Politik art- und marktgerecht unters Publikum bringt.

Jungfrau

Jörg Schönbohm

Ihm weht ein eisiger Wind voraus, weil er einst auf dem Kasernenhof „guten Morgen, Soldaten!“ zu brüllen verstand. Wie die Jungfrau zum Bade wird er also nicht kommen, wenn er demnächst seinen Posten als Chef des Innenressorts antritt. 1992 konvertierte er eher unfreiwillig zum zivilen Staatssekretär im Bonner Verteidigungsministerium, nachdem er zuvor die Reste der NVA erfolgreich abgewickelt hatte. Schönbohm stahlgewittert gern bei seinem Lieblingsautor Ernst Jünger, kaufte sich ein Häuschen in Klein-Machnow. Die Astrologin rät: Fauler als ihr Amtsvorgänger Heckelmann werden Sie wohl nicht sein. Dagegen wappnet Sie schon ihr preußisches Pflichtbewußtsein. Trotzdem: Ihr Amt ist ein einziges Minenfeld. Gute Tarnung und ausreichende Panzerung sind daher angesagt. Auch taktische Finten und Zangenangriffe mit anderen Senatoren könnten von Vorteil sein.

Steinbock

A. Fugmann-Heesing

Sie ist als Neuling hochgradig gefährdet. Ihr Abgang als Finanzministerin in Hessen 1993, als sie die politische Verantwortung für die Lottoaffäre übernahm, könnte ihr noch öfters vorgehalten werden. Eine Boulevardzeitung namens BZ titelte bereits munter an der Wahrheit vorbei: „Skandal-Ministerin soll Berlins Finanzen retten“. Dabei machte die 41jährige, was sonst in diesen Landen ungewöhnlich ist: Sie übernahm die politische Verantwortung für eine Affäre, an der sie schuldlos war. Die promovierte Juristin läßt sich nicht die Butter vom Brot nehmen: Ihr Ehemann kümmert sich um Haushalt und zwei Kinder. Die Astrologin rät: Nicht verrückt machen lassen durch die Finanzlage! Und bitte immer schön vom Intrigenspiel der Berliner Genossen fernhalten! Vorbildhaft darin ist Justizsenatorin Peschel-Gutzeit, die auch ohne Hausmacht von allen getragen wird.

Jungfrau

Ingrid Stahmer

Die abgelegte Spitzenkandidatin der SPD ist noch einmal davongekommen. Mit einem blauen Auge und dem Senatsposten für Schule, Berufsbildung, Jugend und Sport. Dort wird sie sich wohl demnächst um das Landesschulamt kümmern dürfen, das ihre Partei so gern abgeschafft haben möchte. Ansonsten heißt es für die angeschlagene Jungfrau: Vertrauen wiedergewinnen! In den letzten Wochen hatte sich die gelernte Sozialarbeiterin gleich für mehrere Ämter ins Spiel gebracht und für Verwirrung gesorgt. Doch die 54jährige hat Durchhaltevermögen. Die gebürtige Österreicherin kam vor dreißig Jahren nach Berlin, wo sie bis 1981 beim Bezirksamt Charlottenburg und in der Senatsverwaltung für Jugend arbeitete und nach acht Jahren als Sozialstadträtin von Walter Momper als Bürgermeisterin und Gesundheits- und Sozialsenatorin in seinen rot-grünen Senat geholt wurde.

Stier

Peter Strieder

Er braucht kräftige Hörner, wenn er sich als Stadtentwicklungssenator durchsetzen will. Hauptkonkurrent dürfte bei der Frage, welche Gebäude künftig geschützt werden, der CDU-Bausenator Klemann sein. Auch innerparteilich muß sich der promovierte Jurist noch beweisen. Fraktionschef Böger hätte auf seinen Posten am liebstem den Hamburger Umweltsenator Fritz Vahrenholz gehievt. Doch der wollte nicht. Strieder, gebürtiger Franke, hat mit Beharrlichkeit an seiner Karriere gebastelt: Die Aufmerksamkeit, die er als Kreuzberger Kiezbürgermeister auf sich zog, nutzte er medienwirksam für seinen Aufstieg. Mit geschicktem Verbalradikalismus mauserte er sich zum Linken. Die Astrologin rät: Der 44jährige sollte vorsichtig agieren, aber nicht kleinlaut werden. Merke: Hinter den roten Tüchern, mit denen manche Genossen wedeln werden, steckt immer ein Dolch.

Skorpion

Peschel-Gutzeit

Die 63jährige ist so gar nicht die typische grüblerische Skorpion- Frau. Seit ihrem Wechsel von der Justizsenatorin in Hamburg vor zwei Jahren hat die Generalstochter und promovierte Juristin kräftig zugepackt. Ob das Korruptionsbekämpfungsgesetz, die Entkriminalisierung von Kleindelikten und das Projekt Spritzen im Knast oder ihr Drängen auf Beschleunigung von Verfahren zur DDR-Regierungskriminalität: ihren „Skorpion-Stachel“ setzte die Sozialdemokratin stets gezielt ein. Lore Maria Peschel-Gutzeit hat sich den Ruf einer disziplinierten Frau erworben, die weiß, was sie will, und dies bestimmt, aber freundlich durchsetzt. Die Sozialdemokratin, die früher auch schon mal für den Posten des Datenschutzbeauftragten und den einer Richterin am Karlsruher Bundesgerichtshof im Gespräch war, hatte ihr Amt im März 1994 mit der Absicht angetreten, keine Übergangssenatorin zu sein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen