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Ein wandelnder Lip gloss in Blond

In Paul Verhoevens „Showgirls“ beherrschen Sex, Angst und Schrecken das Amüsement in Las Vegas  ■ Von Harald Fricke

Auf dem „Showgirls“-Plakat ist ein Streifen Fleisch abgebildet, der sich aus dem dunklen Nichts von der Fußspitze her bis zum Kopf hinaufschlängelt. An der oberen Kante ist die Augenpartie abgetrennt, der Mund wirkt wie eine bräunlich geschwollene Wunde in der Landschaft. Daneben der Name des Regisseurs: Paul Verhoeven. Erkennen Sie den Fetisch, das Spiel mit den Geschlechtern? Freud als Posterphilosophie: In jedem Mann steckt eine recht ansehnliche Frau, in der wiederum ein gehöriger Phallus steckt, den man nur herauszuschälen braucht. Im Film wird diese Zote umgekehrt: „You know what they call that useless piece of skin around a twat? A woman.“ So sind halt die Männerphantasien.

Erstaunlicherweise fallen derlei Gespinste – Fotze Frau, Bestie Mensch – in Verhoevens Grusical um Angst und Schrecken im Amüsierbetrieb von Las Vegas recht flott übereinander her. Eine Tänzerin aus dem Mittelwesten entwickelt sich dank diverser Liebesdienste und Intrigen vom Strip- Girl zum Star einer opulenten Ganzkörpershow, in der sie als goldbepinselte Göttin aus einem Vulkan steigt und von den Kollegen herumgetragen wird. Später gibt es eine Motorradverfolgung auf der Bühne, zu der die Truppe lederne S/M-Accessoires trägt. Mit Rocksongs von Prince, Dave Stewart oder David Bowie als glitzy Tanzrevue der 90er Jahre konzipiert, bewegt sich „Showgirls“ irgendwo zwischen den roaring Wasserballetts eines Busby Berkeley und „Saturday Night Fever“ als Whirlpool-Disco.

Die neue Produktion von Paul Verhoeven sollte als Nachfolger von „Basic Instinct“ ein nachdenklicher Film werden, eine Abrechnung mit dem System, das in der Unterhaltung den Menschen vergißt. Baudrillard und Roland Barthes haben sich damit in den siebziger Jahren beschäftigt, Atom Egoyan hat mit „Exotica“ dafür in Cannes den Kritikerpreis eingeheimst. Man strippt sich durchs Leben, bis nichts außer Hüllen übrigbleiben, die nur immer schneller fallen. Gute Zeichen, schlechte Zeiten.

Nach Einspielergebnissen von über 350 Millionen Dollar mit dem besagten Schlüpferstürmer wollte Verhoeven, ursprünglich Erfolgsregisseur in Sachen Jugendliebe („Türkische Früchte“) und Science-fiction („Robocop“, „Total Recall“), noch mehr freilegen, enthüllen, zeigen, bloßstellen. Noch mehr Gewalt, Ängste und Abgründe im US-amerikanischen Sexleben, noch mehr Handschellen und ungetragene Unterwäsche, noch mehr Sharon Stones. Es sollte gar „ein flämisches Sittenbild“ werden, denn „ich bin Moralist“, wie der holländische Filmemacher in Interviews erklärte.

Für „Showgirls“ wurde es allerdings einige Nummern kleiner: Als Hauptrolle haben Verhoeven und sein Autor Joe Esterhas – seit „Das Messer“ die Hollywood-Koryphäe auf dem Gebiet des erotischen Mysterienthrillers – lediglich ein Fernsehserien-Miezchen namens Elizabeth Berkley für die Rolle des aufstrebenden Starletts Nomi Malone bekommen. Daß sie bislang für „Baywatch“ oder „Malibu Beach“ unbeleckte High-School-Mädchen in Tennissocken spielte, kam der wackeligen Erwachsenen-Story nur bedingt entgegen. Sie lächelt wie ein wandelnder Lip gloss und entledigt sich dermaßen voreilig aller Kleidungsstücke, daß man ihr gerne wieder hineinhelfen würde, damit der affige Strip-Zirkus wenigstens etwas in Genuß ausartet. Die ganze Einmaligkeit der Berkley besteht laut Verhoeven gerade darin, daß sie „spielen und tanzen kann und zudem keine Angst vor ihrer eigenen Sexualität hat“.

Damit man nicht zu lange auf diese Stellen warten muß, an denen Spiel und Tanz und Sex zusammenkommen, darf Nomi schon in der Eingangssequenz beim Trampen die Füllung ihrer Countrybluse vorzeigen. Doch der Effekt verpufft, ein Elvis-Verschnitt mit Pick-up hat es lediglich auf ihr Gepäck abgesehen. Statt die Karriere nach diesem Fehlstart doch lieber zu vergessen, hält Nomi stramm durch: Als Topless Dancer befriedigt sie ihre Freier mit komplizierten Verrenkungen ihres Rektums, ohne auch nur einmal Hand anlegen zu müssen. Japaner verwirrt sie mit ihren Nacktübungen so sehr, daß die kleinen schüchternen Männer bei ihrem Anblick an Gynäkologie denken müssen. Von einem schwarzen Kleinkünstler läßt sie sich nicht mißbrauchen. Lieber erkoitiert sich Nomi die Gunst des Produzenten im „Stardust“-Hotel (Kyle MacLachlan wird am Schwimmbecken zerritten) und zieht mit ihren gezielten Talenten an dessen kokainschnupfender Mätresse Cristal Connors (Gina Gershon) vorbei. Auf Eifersucht folgen Knochenbrüche, die Herren Geschäftsführer schauen den neidenden Weibern zu und besetzen die Hauptrolle um. Bald schon hat Nomi den Job in der Revue, ihre Brüste rotieren zu Techno, und Versace-Kleider winken.

An diesem Punkt könnte sich aus dem soften Porno noch immer ein prima Tanzfilm entwickeln – „Dirty Dancing 1995“. Schließlich wurden die Revueszenen von Marguerite Pomerhn-Derricks ausgearbeitet, die in „Fame“ eine Hauptrolle spielte und als Modern-Jazz- Lehrerin selbst Fettmöpse wie Barry White oder Quincy Jones für Videoclips schrittechnisch in Form gebracht hat. Doch vom Tanzen will Verhoeven ja gar nicht erzählen, sondern vom Leid. Folglich muß noch Nomis beste Freundin von einem fusselbärtigen Rockidol vergewaltigt werden, damit aus Nomi (wahlweise auch No me) endlich „Know me“ wird: Flugs stöckelt sie in dessen Privatsuite, klopft ihn mit Kung-Fu-Tritten weich und schneidet ihm die Kehle durch. Dann steht das Cowgirl wieder trampend auf der Straße, und derselbe Elvis-Schlock nimmt sie noch einmal mit. Von Babylon nach Hollywood oder heim auf die Ranch – man möchte es gar nicht so genau wissen.

Außer dem Leitmotiv, daß Geld und Unterhaltung den Menschen verderben, ist Verhoeven zu „Showgirls“ nichts eingefallen. Etwas „That's Entertainment“ (Bob Fosse) aus der Chorus-Line-Perspektive, ein bißchen rites de passage vom blonden Tausendgesicht zum Racheengel, der Rest ist Tittengewirbel. Daß dieser feuchte Trash für keimende Schuljungs in Amerika eine Auseinandersetzung um künstlerische Freiheit, Hays-Code, PC-17-Rating und Zensur nach sich gezogen, muß an einer tief psychologischen Verwirrung liegen, was den Umgang mit Geschlecht und Charakter betrifft. Die speziell für „Showgirls“-Debatten eingerichtete Web-Seite im Internet registrierte bereits 24 Stunden nach dem Filmstart eine Million Einträge. So viele Buttheads gibt es also.

„Showgirls“. Regie: Paul Verhoeven; mit Elizabeth Berkley, Kyle MacLachlan, Gina Gershon, u.a.; USA 1995; 131 Min.

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