: Übertragungsproblem
■ betr.: „Heißt der liebe Gott inzwi schen Freud?“, taz vom 17. 1. 96
Interessiert folgte ich den verschlungenen Gehirnpfaden der Frau Rutschky. Eigentlich wollte sie ja wohl über eine verhinderte Freud-Ausstellung in Washington berichten. Doch wie schnell findet Frau Rutschky immer wieder den Weg zu ihrem eigentlichen Thema: „Der Mißbrauch des Mißbrauchs“.
Von der Washingtoner Library of Congress zum Verein Dunkelziffer e.V. in Hamburg in anderthalb Seiten, bravo.
Erfreut nehme ich den neuerlichen Beweis dafür zur Kenntnis, daß Frau Rutschky anscheinend überall einen „Mißbrauch des Mißbrauchs“ sieht und zwar weltweit. Damit übertifft sie die von ihr erhobenen Vorwürfe gegen Vereine und Projekte, die noch immer zu diesem Thema arbeiten, um Längen. C. Böhm, Berlin
In der Beschreibung der Bedeutung der Psychoanalyse stimme ich Katharina Rutschky zu, aber ich finde nicht, daß man die Psychoanalyse dadurch mißbrauchen sollte, daß man sich (scheinbar zusammen mit ihr) über die Sorge für die Schwachen und Unterdrückten (Rutschky zählt auf: „Kinder, Frauen, Hühner, Kühe und andere Minoritäten“) lustig macht. Gerade dies spiegelt den Zeitgeist wieder, der einerseits den Mißbrauch verleugnen will, andererseits mit ihm „Geschäfte“, auch psychische Geschäfte, machen will.
Auf den Mißbrauch des Mißbrauchs weist Katharina Rutschky immer wieder hin, aber sie übersieht dabei, daß dies nur die eine Seite der Wiederholung ist. Die andere Seite besteht darin, daß der Mißbrauch wieder verleugnet wird. Manchmal scheint es mir als hätten wir 100 Jahre nach der Entdeckung Freuds, daß viele (psychische) Schädigungen auf die Nichtachtung der körperlichen und psychischen Integrität der Kinder durch ihre Eltern zurückzuführen sind, immer noch nicht begriffen, daß Psychoanalyse bedeutet, genau hinzusehen und so die Blindheit und die Gewalt möglichst wenig zu wiederholen. Thea Bauriedl, Vorsitzende
der Akademie für Psychoana-
lyse und Psychotherapie e.V.,
München
Dem Anliegen, Freud gegen ungerechtfertigte und unqualifizierte Kritik zu verteidigen und in Schutz zu nehmen, gebührt Respekt und Anerkennung. Die Bedeutung seiner Entdeckungen und seine Errungenschaften als Begründer der Psychoanalyse, in der auch alle tiefenpsychologisch ausgerichteten Therapieverfahren ihre Wurzeln haben, können gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Gerade in heutigen Zeiten, wo unter dem seltsam unreflektierten Begriff der „Wissenschaftlichkeit“ nur gelten soll, was sich messen oder zählen läßt. Welch eine Hybris, einer derart komplexen Erscheinung wie der menschlichen Psyche damit gerecht werden zu wollen und alles, was sich nicht in dieses Korsett zwängen läßt, als nicht existent zu verwerfen. Übrigens ein alter Fehler der sogenannten Naturwissenschaften in der Diskussion der Erkenntnistheorien, welcher spätestens auch experimentell durch die Entdeckungen der modernen Physik widerlegt worden ist.
Freud hingegen verlangt mit der Erforschung der menschlichen Psyche von uns mehr oder weniger „reifen“ Individuen gerade die Fähigkeit, Widersprüche und damit Spannung zwischen bewußten und unbewußten Impulsen auszuhalten, Ambivalenzen differenziert zu erleben und zu integrieren. Psychodynamisch kann ich die Kritik an ihm daher nur als Abwehr ebensolcher unerwünschter Impulse verstehen, die sich gerade dieser scheinbar „rationalen“ Art der Erfassung entziehen und somit wohl Angst auslösen.
Andererseits scheint Frau Rutschky in ihrer Verteidigung Freuds genau den von ihr reklamierten Ansprüchen eben auch nicht gerecht zu werden. Sehr unreflektiert und undifferenziert wird jegliche Kritik, gleich welcher Coleur, abgeschmettert und gegen deren Vertreter heftig polemisiert. Freud selbst hat seine Entdeckungen nie als in sich abgeschlossen betrachtet, sondern vielmehr zur Weiterentwicklung seiner Theorien aufgefordert.
Gerade aus dieser Haltung heraus halte ich die kritische Auseinandersetzung mit seinen Theorien für ungeheuer wichtig, damit seine revolutionären Ansätze keinen Staub ansetzen, sondern sich lebendig weiterentwickeln können. Insofern halte ich den kritischen Dialog und den Versuch der Integration der Schulen auch für das Paradigma unserer Zeit.
Frau Rutschky scheint mir dabei genau das zu haben, was sie Freuds Kritikern unterstellt: ein Übertragungsproblem. Wo sie anderen nur fixierte Kritik attestiert, scheint für sie nur die andere Seite gelten zu dürfen: Leidenschaft und Bewunderung. Die Integration beider Aspekte scheint bei Idealisierung des Übervaters Freud wohl noch nicht recht gelungen zu sein. Insofern kan ich mich ihrer Überschriftsfrage und ihren Schlußsatz damit nur anschließen: „Bitte Professor Freud, übernehmen Sie!“ Simon Gail, Arzt und Psycho-
therapeut, Lohfelden
Hühner, Kühe und charmante Windhunde setzen an zum Sturm auf die amerikanische Aufklärung! Eine verdienstvolle, messerscharfe Analyse. Irreführend nur die Behauptung, Jeffrey M. Masson sei „gutaussehend“ – er hat einen Vollbart; das läßt tief blicken, Rutschky! Lothar Kittstein, Bonn
Ertappt, Frau Rutschky! Ich meine dabei nicht, wie sie das interessante Thema, warum die Washingtoner Kongreßbibliothek eine Ausstellung über Freud abgesagt hat, wieder einmal dazu benutzt haben, einen Ihrer üblichen Ergüssen über sexuellen Mißbrauch an Mädchen und Jungen auszuschütten, sondern, sie schreiben im ersten Absatz „Farbige“. Wie verräterisch Sprache sein kann – insbesondere bei Linken. Wie wär's mit einer Auseinandersetzung zum Thema Rassismus, Frau Rutschky? Marina Orywahl, Berlin
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