: „Die Demokratie ist noch nicht etabliert“
■ Interview mit Premierminister Meles Zenawi über die Lage in Äthiopien
Meles Zenawi (40) wurde in der äthiopischen Provinz Tigre geboren und kämpfte als junger Student mit Gleichgesinnten gegen die von der Sowjetunion gestützte Militärdiktatur unter Haile Mariam Mengistu. Seine marxistisch-leninistische Guerillabewegung schloß sich 1989 mit anderen Gruppen zur „Revolutionären Demokratischen Front des Äthiopischen Volkes“ (EPRDF) zusammen und eroberte 1991 die äthiopische Hauptstadt Addis Abeba. Seitdem führt die EPRDF, die dem Marxismus-Leninismus abgeschworen hat, die Regierung. Zenawi wurde 1991 Übergangspräsident und 1995 nach der Einführung einer neuen Verfassung Premierminister.
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taz: Sie waren ein Rebell, ein Guerillero. Jetzt sind Sie Premierminister. Welche Existenzform war für Sie schwieriger?
Meles Zenawi: Persönlich ist es für mich jetzt sehr viel schwieriger. Ich bin nicht so frei wie während des Krieges. Ich kann zum Beispiel jetzt nicht in ein gewöhnliches Haus gehen und an einem Gespräch teilnehmen. All diese Dinge sind unmöglich geworden.
Etwas anderes ist: Während des Krieges verwalteten wir ein sehr homogenes Gebiet. Es gab eine unkomplizierte ländliche Bevölkerung, billige und gerechte Ziele. Dann aber mußten wir die Städte einbeziehen. Die Bedürfnisse dort sind viel komplizierter und nicht so homogen wie auf dem Land.
Sie hatten Wahlen hier, die die Hauptoppositionsparteien boykottierten. Hat Sie das berührt?
Das ist wirklich verdammt schade. Zu einem großen Teil ist darin einfach die Fortsetzung der alten Politik in diesem Land zu sehen. Die alte Politik heißt: Wenn du eine Schlacht verlierst, mußt du das nicht akzeptieren, sondern du kämpfst erneut an einem anderen Tag. Also muß der Sieger alles tun, um den Verlierer daran zu hindern, daß er am nächsten Tag wieder losschlägt. Der Gewinner darf sich alles nehmen, und außerdem muß er sicherstellen, daß er alles behält. Das ist nicht demokratische Politik, sondern Politik mit der Gewehrkugel. Wir versuchen, daß zu ändern. Wenn man dieses Mal verliert, kann man nächstes Mal gewinnen. Aber das ist noch nicht etabliert, und deshalb wollen viele Leute Niederlagen nicht akzeptieren. Und da ist es für sie leichter, die Wahlen zu boykottieren.
Was bedeutet die wichtigste Oppositionsgruppe „Oromo-Befreiungsfront“ (OLF) für Sie?
Zweierlei. An der Basis bedeutet sie für uns ein mißgeleitetes Oppositionsgefühl gegen die Herrschaft. Die ursprüngliche Zielsetzung der OLF war der Widerstand gegen die Beherrschung der Oromos durch andere. Das war legitim. Wir sind jetzt dabei, die Ungerechtigkeiten zu korrigieren, die wir geerbt haben. Wenn die Oromos sich unterdrückt fühlen, haben sie ein Recht auf Sezession; wir haben dieses Recht in die Verfassung hineingeschrieben. Zusätzlich haben wir föderale Arrangements. Die Oromos haben ihre eigene Region. Wenn sie die Leute nicht mögen, die sie regieren, können sie sie abwählen, friedlich. Ich verstehe die Gefühle der OLF- Basis. Ich halte sie für fehlgeleitete Bürger. Aber die OLF-Führer sind da ganz anders. Und sie sind dabei, unsere Feinde zu werden.
Was bedeutete Deutschland für Sie, als Sie im Untergrund waren, und was bedeutet es heute?
Deutschland, Deutschland. Ja, das hatte zwei Bedeutungen für mich. Es gab einige wenige Nichtregierungsorganisationen; für sie war ich einfach ein Mensch, dem geholfen werden mußte. Und dann gab es den Rest des Landes, für den ich auf der falschen Seite der Barrikade stand. Heute ist die Lage ganz anders: keine Barrikaden mehr, jeder ist auf der „richtigen“ Seite. Ganz Deutschland erkennt nun an, daß wir existieren, und daß uns geholfen werden soll.
Sind Sie zufrieden mit der Menschenrechtslage in Äthiopien?
Nein, natürlich nicht. Wir müssen noch einen langen Weg gehen, um zu Menschenrechten zu kommen. Und ich bin überhaupt nicht unzufrieden, daß amnesty international uns an hohen Meßlatten mißt. Aber wir sind unzufrieden mit der Vorgehensweise von amnesty. Die Organisation hat totalen Zugang zu unserem Land. Aber anstatt Tatsachen zu verifizieren, bringt amnesty Vermutungen der Opposition vor. Damit bieten sie das Bild, als ob sie von diesen politischen Kräften benutzt werden. Was amnesty tun kann, ist, die Krankheiten zu identifizieren. Aber sie geben uns in den Berichten nur die Symptome. Ein Beispiel: Wir haben viele Leute des früheren Regimes eingekerkert wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Bis heute sind einige noch nicht formal angeklagt worden. Das ist eine Verletzung der Menschenrechte. Es ist aber nur ein Symptom. Die viel tiefere Krankheit besteht darin, daß die Traditionen des Justizwesens extrem schwach sind. Die Optionen sind einfach: Wenn wir sie freilassen, gelten sie als unschuldig. Wenn wir sie weiter im Gefängnis halten, werden ihre Menschenrechte verletzt. Interview: Rupert Neudeck
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