„Ich erkannte Oliver Neß“

■ Interne Akten belegen: Der Journalist wurde doch von der Hamburger Polizei observiert Von Kaveh Nassirin

Vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuß (PUA) zum Hamburger Polizeiskandal wird heute Hamburgs Ex-Innensenator Werner Hackmann als Zeuge vernommen. Er trug nicht nur die politische Verantwortung für die Ereignisse an den Wachen 11 (Kirchenallee) und 16 (Lerchenstraße), sondern auch für die Mißhandlung des Journalisten Oliver Neß am 30. Mai 1994 auf dem Gänsemarkt.

Schon damals war der polizeikritische Neß Beamten der Observationsabteilung des politischen Staatsschutzes (LKA 331) „sehr gut“ bekannt, wie die taz vergangene Woche berichtete. Eine einseitige Bekanntschaft. Bis heute erklärte Hackmann nicht, woher die Staatsschutzbeamten Wolfgang Lotze und Stephan Maier den Journalisten denn so „gut“ kannten.

Wurde Oliver Neß etwa von der Polizei observiert? Er wurde. Zumindest nach Hackmanns Rücktritt im September '94 war das Opfer Neß nachweislich für die Polizei ein Objekt der Beobachtung: Ausgerechnet die Dienststelle PS 3 – dafür zuständig, Delikte von Polizeibeamten zu ermitteln – berichtete am 14. 12. 94 in einem „Vermerk“ unter dem Aktenzeichen Ps 3/230/93 – der der taz bekannt ist –, daß Neß eine öffentliche Veranstaltung zum Thema „Polizei: Dein Feind und Schläger?“ besuchte.

Der PS 3-Beamte notierte: „Von ca. 19 Uhr bis 22 Uhr 10 war ich in der Veranstaltung. Rund 150 Personen waren im Hörsaal. Ich erkannte Oliver Neß, der als einer der Redner angekündigt war.“ Minutiös protokolliert der „Vermerk“ nun jedes Wort von Neß. Der eifrige Beobachter erwähnt sogar, daß Neß Staatsanwaltschaft und Polizei vorwirft, den Vorfall auf dem Gänsemarkt zu vertuschen.

Wie die Energien der ermittelnden Polizisten hier in die falsche Richtung gingen, erinnert an den Fall Dialle D., der im Herbst 1994 den Polizeiskandal auslöste. Auch bei dem von Polizisten verprügelten Senegalesen versuchte die Abteilung PS 3, dem Polizeiopfer dubiose Lebensumstände und einen gefälschten Paß nachzuweisen.

Daß die Staatsanwaltschaft den Sachverhalt im Fall Neß falsch darstellt, wiederholte Oliver Neß vergangene Woche bei seiner Aussage vor dem PUA. In einer der Kernfragen des Disputs – ob es einen Angriff von Zivilbeamten gegeben hat – trifft Neß' Vorwurf nachweislich zu. So wird in der Anklageschrift vom 15. Dezember 1995 behauptet, daß ein Tatgeschehen vor der von Videos dokumentierten Szene nicht zu beweisen sei. Hätte die Staatsanwaltschaft in ihrer eigenen Ermittlungsakte nachgesehen, so wäre sie nicht nur auf die Aussage der Zeugin Gita Ekberg gestoßen, die davon spricht, daß „Zivilbeamte Herrn Neß zu Boden rissen“, sondern auch auf den ersten Polizeibericht zum Fall Gänsemarkt.

Denn noch am selben Tag, am 30. Mai 1994, verfaßte der Polizeibeamte Olaf A. ein Papier, auf dem er notierte, daß „zwei Kollegen in Zivil versuchten“, Oliver Neß zu Boden zu bringen. Olaf A. – einer der Angeklagten – bezeugte den Angriff von Zivilbeamten also auch. Außerdem sprechen die Zeugen Oliver Scholz, der bei dem Angriff direkt neben Neß stand, der Journalist Kai von Appen, GAL-Referent Peter Mecklenburg, Neß selbst und der Kriminalbeamte Unger von einem vorherigen Zivilangriff. Nach Informationen der taz gibt es noch weitere Zeugen, die von der Staatsanwaltschaft aber nicht ermittelt wurden.

Wozu auch? Selbst die bisherigen Aussagen werden von den Anklägern hartnäckig ignoriert. Da die bereits vorhandenen Zeugenaussagen „im Detail“ voneinander abweichen – wie es für Zeugenaussagen typisch ist –, hält die Staatsanwaltschaft sie für „widerlegt“. Weil Olaf A. „vier bis fünf Zivilbeamte beobachtete, der Zeuge Oliver Scholz nur „drei und einen vierten in der Nähe“ gesehen haben will, Gita Ekberg nur allgemein von „Zivilbeamten“ spricht, heißt das für die Staatsanwaltschaft: Der Vorfall hat gar nicht stattgefunden.

Woher Neß die attestierten Mundverletzungen hatte, wenn nicht von einem vorherigen Angriff des Zivilbeamten Andreas Vatterott, ist in der Anklage nicht einmal erwähnt. Und es wird willkürlich festgelegt, daß Neß „bis 13:19 Uhr und 13 Sekunden unbeschadet war“. Denn was nicht Bild für Bild dokumentiert ist, scheint für die Hamburger Staatsanwaltschaft nicht nachweisbar. Wenn es um Polizeikriminalität geht.