: Hundert leere Fußballfelder mitten in der City
■ Diskussion über Büroleerstand und die „Paradoxie des rationalen Entscheidens“
Der Streit um die Schönrechnerei von Zahlen ist unergiebig. Darauf einigten sich Stadtsoziologe Jens Dangschat und Oberbaudirektor Egbert Kossak (SPD) erstaunlich schnell während ihrer Diskussion über „Büroleerstand und Perspektiven Hamburger Stadtentwicklung“ am Mittwoch abend in der Schule Carsten-Rehder-Straße. Denn 600.000 Quadratmeter leerstehender Büroraum in Hamburg, mußten sich die beiden von der GAL Altona geladenen Professoren eingestehen, bleiben 60 Hektar tote Fläche – so groß wie 100 Fußballplätze – mitten in der Großstadt.
Da hilft es auch nicht, wenn der an der geplanten Misere nicht ganz unbeteiligte Oberbaudirektor den ungeschickten Versuch unternimmt, die Verantwortung abzuwälzen: Mit zwei Fünfteln der Leerstände habe seine Stadtentwicklungsbehörde (Steb) nämlich gar nichts zu tun. Die meisten verwaisten Büros fristeten ihr tristes Dasein in „Peripherien“ wie Fuhlsbüttel oder Bahrenfeld dank der dortigen Bezirksplaner. Außerdem gebe es noch 65.000 Quadratmeter „Altlasten“, Hinterlassenschaften pleite gegangener Immobilien-Spekulanten oder dunkle und damit unvermietbare Löcher. Den Vorwurf aus dem Publikum, mit verfehlter Büro-Planung Flächen für Wohnraum blockiert zu haben, wollte Kossak nicht gelten lassen. Wegen des „unerträglichen Fluglärms rund um Fuhlsbüttel“, der unzumutbaren Verkehrsbelastung an den Hauptstraßen sowie der Ausweisung vieler Flächen als Industriegebiete sei es „ja gar nicht möglich gewesen, dort Wohnraum zu schaffen“, flunkerte er flugs. Wer dann noch die sehr viel niedrigere Bebauungsdichte in Wohngebieten bedenke, komme auf maximal 150.000 Quadratmeter Büro-Leerstand, sprich lächerliche 2000 Wohnungen, die der Steb als „Fehlplanung“ eventuell anzulasten seien.
Im übrigen trage ein gewisses Überangebot zur preisgünstigen Mietenstabilität bei. Auch mittelständische Unternehmen, ist sich Kossak sicher, würden sich so wieder in der City ansiedeln. Daß diese lediglich ihre bisherigen Standorte am Stadtrand verlassen und sich der Leerstand somit nur räumlich verlagert, ließ er außer acht. Der Dienstleistungssektor boome; in spätestens fünf Jahren, so der Optimist, sei der Leerstand auf ein akzeptables Maß von „300.000 Quadratmetern – also drei bis vier Prozent des gesamten Büroraums von 12 Millionen Quadratmetern“ – gesunken.
Doch um diesen „Grenzwert“ wollte allenfalls das rund 70köpfige Publikum debattieren. Uni-Soziologe Dangschat sprach endlich aus, woran es bei der Hamburger Stadtplanung seit Jahren und grundsätzlich krankt. Die Verflechtung von Politik und Planung müsse endlich entwirrt werden, forderte Dangschat: „Die Planung steckt in einer ambivalenten Rolle. Sachgerechte Präferenzen werden immer seltener berücksichtigt.“ Anstatt ihrer „hoheitlichen Aufgabe“ gerecht zu werden, strukturelle gesellschaftliche Probleme aufzudecken und bei Entscheidungen zu berücksichtigen, hätten die Planer die dringend nötige politische Unabhängigkeit weitestgehend aufgegeben. „Die Katastrophe ist, daß die Planer eine politisch unterstützende Symbolleistung ausführen.“ Betrachte man nur die Interessen-Konflikte zwischen Investoren, Architekten und Politik, seien die „für die Bevölkerung auf lokaler Ebene oft nicht mehr nachvollziehbaren“ Baubeschlüsse durchaus begründet: „Das ist die Paradoxie des rationalen Entscheidens.“
Für eine gesellschaftspolitisch akzeptable Planung dagegen sei es notwendig, die „Denkbarrieren“ abzubauen. Dangschat: „Flexible Nutzung von Gebäuden ist möglich. Man denkt immer gleich in Grundschulklassen und an seine eigene Familienlebensweise und übersieht, daß 50 Prozent der Hamburger Haushalte aus einer Person bestehen.“ Heike Haarhoff
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