: Keine Frist für Flüchtlinge
■ Innenministerkonferenz beschließt Abschiebung der Bosnier ab 1. Juli. Familien dürfen länger bleiben
Bonn (taz) – Ab 1. Juli wird zurückgeschoben: Die Innenministerkonferenz (IMK) von Bund und Ländern hat gestern in Bonn über das Schicksal der rund 320.000 bosnischen Flüchtlinge in Deutschland entschieden und beschlossen, daß in einer ersten Phase ledige Erwachsene und Ehepaare ohne Kinder in ihre Heimat zurückkehren müssen. Das UN-Flüchtlingskommissariat in Bonn, Vertreter von Kirchen und Menschenrechtsgruppen und Bündnis 90/Die Grünen hatten bis zuletzt vergeblich vor einer Rückkehrpflicht mit festen Terminen gewarnt.
Der Beschluß der Innenminister sieht eine zeitlich gestaffelte – gegebenenfalls auch zwangsweise – Rückführung vor. Auf die Flüchtlinge ohne Kinder, die bis Mitte 1997 verabschiedet sein sollen, folgen nach den IMK-Plänen Ehepaare und Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern. Von der ersten Phase ausgenommen sind nur Vergewaltigungs- und Folteropfer, Zeugen des Kriegsverbrechertribunals in Den Haag sowie Personen im Alter von über 65 Jahren, die in Bosnien keine Familie, aber in Deutschland Angehörige mit Aufenthaltsrecht haben. Nach dem Beschluß wird Flüchtlingen zugleich erlaubt, zur Vorbereitung der endgültigen Heimkehr eine Erkundungsreise nach Bosnien zu unternehmen. Allerdings darf diese Orientierungsreise nur zwei Monate dauern. Die Möglichkeit einer anschließenden Rückkehr nach Deutschland wird garantiert. Schließlich sollen sich die Flüchtlinge vor Ort an den im Sommer in Bosnien stattfindenden Wahlen beteiligen können.
Von der ersten Phase der Rückführung sind 200.000 Flüchtlinge betroffen, sagte gestern Innenminister Manfred Kanther (CDU). Voraussetzung sei, daß die Lage in Bosnien weiter stabil bleibe. Im Gegensatz zu den nun gefaßten Beschlüssen hatte Kanther noch Anfang vergangener Woche in Genf die volle Übereinstimmung der deutschen Politik mit dem UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge betont: Bonn habe keinen Zeitplan, werde sich nicht an Zahlenvorgaben orientieren und nicht von Hektik treiben lassen, hatte Kanther erklärt. Hans Monath
Tagesthema Seite 3
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen