: Abends Klinik, morgens zur Arbeit
■ Erste Diabetes-Nachtstation in Norddeutschland hat eröffnet
Osnabrück. Was 25 Gramm Kichererbsen, 30 Gramm Pumpernickel und 150 Gramm Quitten gemeinsam haben, das weiß nur ein Diabetiker: Sie enthalten alle genau eine „Brot-Einheit“ – 1 BE. Für einen Zuckerkranken ist jede Mahlzeit eine Rechenaufgabe. Wie er seinen Blutzuckerspiegel auch ohne Taschenrechner möglichst konstant halten kann, das kann er im Krankenhaus von Ostercappeln im Schlaf lernen: Zum ersten Mal in Norddeutschland ist in dem 2.000-Seelen-Dorf am Rande des Osnabrücker Wiehengebirges eine Diabetes-Nachtklinik mit zwölf Betten eingerichtet worden.
„Wir wollen die nachtstationären Diabetiker unter Alltagsbedingungen auf ihren individuellen Stoffwechsel einstellen“, erklärt Chefarzt Winfried Hardinghaus. „Und trotzdem sollen unsere Patienten ganz normal ihrem Beruf nachgehen können.“ Deshalb startet die Therapie zwölf Tage lang erst jeweils abends um 17.00 Uhr und endet am nächsten Morgen um 9.00 Uhr. Der neue teilstationäre Kurs entlastet nicht nur die Kranken, sondern auch ihre Krankenkassen: Im Vergleich zur vollstationären Klinik fallen die Kosten nach Angaben von Hardinghaus um bis zu 50 Prozent niedriger aus.
Wissen ist für Diabetiker das halbe Leben. Der Abend auf der Station beginnt daher mit intensiven Einzelgesprächen. Arzt und Patient beurteilen gemeinsam die aktuellen Blutzuckerwerte. Das Abendessen wird von einer Ökotrophologin betreut, die wie eine Mathematiklehrerin Rechenaufgaben stellt: „Wieviel Gramm 3,5 prozentiger Dickmilch dürfen Sie noch trinken, wenn Sie 30 Gramm Grahambrot gegessen haben?“ Schulung und Behandlung unterbrechen selbst den Schlaf: Zweimal pro Nacht muß der Zuckerspiegel gemessen werden.
Vier bis sechs Millionen Diabetiker leben nach Schätzungen von Experten in Deutschland. Viele wissen aber gar nichts von ihrer meist erblich bedingten Krankheit. Ihnen drohen fatale Folgeschäden, insbesondere an den Nieren. Weil die Bauchspeicheldrüse zu wenig Insulin produziert, haben die Betroffenen einen zu hohen Blutzuckerspiegel und einen gestörten Fettstoffwechsel. Deutliche Symptome des vor allem bei älteren Menschen auftretenden Leidens sind vermehrter Durst, häufiges Wasserlassen und ständige Müdigkeit.
Bernward Loheide, dpa
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