: Für viele wird die Senkung des Soli-Zuschlags teuer kommen
■ Es kommt nicht nur darauf an, wieviel Solidaritätsgeld in den Osten fließt, sondern auch, wer was damit anstellt
Lohntüten sind durchsichtig. Deshalb kann Finanzminister Theo Waigel auch genau sehen, was sich darin befindet. Etwa 20 Milliarden Mark wird er 1996 von den ArbeitnehmerInnen einkassieren – im Namen der Solidarität mit den neuen Bundesländern. Selbständige und UnternehmerInnen kommen deutlich besser weg: Sie können dadurch Steuern sparen, daß sie Geschäftsfreunde zum Essen einladen. Auch der Bau von Mietwohnungen führt zu willkommenen Verlusten, die mit der Steuerschuld verrechnet werden.
Derartige Aufwendungen haben in den letzten 15 Jahren dazu geführt, daß die Gewinnsteuern von 37 auf 25 Prozent gefallen sind. So ist auch der Ertrag aus dem Solidaritätszuschlag, den Waigel aus Einkommen- und Körperschaftssteuer zu erwarten hat, vergleichsweise mager. Gerechnet wird mit nur sieben bis acht Milliarden Mark für 1996 – ab 1997 ist es nach den gestrigen Beschlüssen noch weniger. Fast unbeleckt von der Solidarität mit dem Osten sind seit jeher Vermögende. Nur beim Zinsabschlag müssen sie zuzahlen.
Innerhalb der Arbeitnehmerschaft ist die Belastung durch den Soli-Zuschlag allerdings gerecht verteilt: Wer viel verdient, muß auch viel zahlen. Leute mit niedrigem Einkommen entrichten hingegen nur einen geringen Obolus. Berechnungsgrundlage für den derzeit noch 7,5prozentigen Abschlag ist die Steuerschuld. Sollte zum Ausgleich für die jetzt beschlossene Senkung ab 1997 die Mehrwertsteuer erhöht werden, würden hingegen die Leute mit wenig Lohn besonders stark belastet. Zwar haben sie zunächst ein paar Mark mehr auf dem Konto. Aber alles, was sie dafür kaufen können, würde teurer. Weil Geringverdiener fast ihr gesamtes Geld in den täglichen Konsum stecken müssen, hätten sie den gesparten Solidaritätszuschlag schnell wieder ausgegeben, ohne dafür mehr Käse, Milch und Videokasetten bekommen zu haben.
Die Vielverdiener hingegen können sich über den Abbau des Solidaritätszuschlags freuen. Selbst bei einer entsprechenden Erhöhung der Mehrwertsteuer werden sie mehr Geld auf der hohen Kante haben. „Eine verteilungspolitische Schieflage“, urteilt Dieter Vesper, Steuerexperte beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin.
Die gab es schon einmal: Kurz nachdem der erste Solidaritätszuschlag im Sommer 1992 abgeschafft worden war, setzte Waigel die Mehrwertsteuer um ein Prozent rauf. „Die Wiedereinführung des Solidaritätszuschlags Anfang 1995 hat diese Schieflage etwas begradigt“, meint Vesper. Er plädierte noch gestern dafür, den Zuschlag mindestens bis zum Jahr 2000 auf bisherigem Niveau fortzuschreiben und nicht dauernd über eine Senkung zu diskutieren. „Der Osten braucht noch mehrere Jahre massive Transferzahlungen.“
Was tatsächlich mit dem Solidaritätszuschlag passiert, kann kein Mensch sagen: Das Geld landet im großen Steuertopf, ist also nicht zweckgebunden. Klar ist allerdings, daß der Solidaritätszuschlag auch bisher nicht ausreicht, um den wirtschaftlichen Anschluß des Ostens ans Westniveau zu erreichen. Je nach Rechnungsweise zahlt der Bund zwischen 80 und 180 Milliarden Mark. „Der Solidaritätszuschlag bringt heute gerade einmal soviel ein, wie jährlich für den Erblastentilgungsfonds benötigt werden“, stellt Michael Hadamczik, Mitarbeiter der Bündnisgrünen im Bundestag, fest. Mit diesem Betrag hätte man Sinnvolleres anstellen können: Hätte die Bundesregierung die Altschulden der Treuhandbetriebe seinerzeit getilgt, müßten die SteuerzahlerInnen den Gläubigern – meist Großbanken – jährlich 30 Milliarden Mark weniger zahlen.
Auch die Steuerabschreibemöglichkeiten für Investoren sind kritisch zu betrachten: Wer in Mecklenburg einen Gewerbepark baut oder einen Glaspalast mitfinanziert, braucht dem Fiskus 25 bis 40 Prozent weniger für seine Einkommen zu zahlen. So sind vielerorts gigantische Gebäude entstanden, die oft leerstehen. Für die neuen Bundesländer besser wäre eine Bereitstellung von Darlehen. Das gäbe nicht nur Ostdeutschen eine Chance, sondern würde Projekten zugute kommen, die sich einmal rechnen. Es kommt nicht nur darauf an, wieviel Geld über die Elbe fließt. Mindestens ebenso entscheidend ist, wer was damit macht. Annette Jensen
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