"Wie bei Helmut Kohl"

■ Platz 1 gibt Sekt, bei Platz 50 ist nur noch ein Kaffee drin: Die Toten Hosen gehen mit neuem Album an den Start. "Heiopeimäßig" geht's nicht zu dabei. Aber nach 14 Jahren im Geschäft "macht eh keiner mehr 'ne Nummer

Vornedrauf wird einem Punk-Lenin am Kopf geschraubt, hintendrauf prangt ein fünfzackiger Stern, und zwischendrin wird mehr oder weniger heftig an den Grundfesten der Zivilisation gerüttelt: Die Toten Hosen haben einen neuen Tonträger veröffentlicht. Selbstverständlich sind sie immer noch gegen Lüge, Antialkoholismus und Ilona Christen, machen jetzt aber verstärkt politische Lieder: „Wir waren dagegen und nie dafür / und damit endlich was passiert / ritzen wir in jede Scheißhaustür: Vive la Revolution“ Ist das französisch? Macht Kommunismus doch Spaß? Auskunft gaben Campino (33) und Gitarrist Breiti (31).

taz: Eure neue Platte heißt „Opium fürs Volk“: Habt ihr das Kommunistische Manifest ausgegraben?

Campino: Wir spielen da ein bißchen rum mit den Begriffen. „Proletarier aller Länder, vereinigt euch“ ist mein Lieblingsbegriff, der über der Platte stehen sollte.

Also gewissermaßen ein Beitrag zur Umfrage „Was ist links?“.

Campino: Das alles sind Zitate, die wir bunt durch die Gegend werfen, die man aber nicht allzu ernst nehmen sollte. Auch „Opium fürs Volk“ meinen wir nicht im Marxschen Sinne nur auf die Religion bezogen, sondern auch auf RTL, ZDF, aufs Fernsehen. Auf Einmümmeln und auf alles, was die Leute im Sessel hält – uns eingeschlossen.

Dabei seid ihr doch heute selbst eine bandgewordene ABM-Maßnahme.

Breiti: Erstaunlicherweise haben wir nach 14 Jahren immer noch Spaß. Ich fänd's gut, wenn man das noch lange weitermachen könnte. Ich kann mir keinen Job vorstellen, den ich lieber machen würde.

Ihr habt gut reden. Verdient ja auch ganz gut.

Breiti: Heute schon. Aber die ersten sechs Jahre kam kein einziger Pfennig bei der Musik rum. Wir haben immer nur Schulden produziert. Aber es war das Ding, was wir unbedingt machen wollten. Und dann war keine Zeit, einen vernünftigen Beruf zu lernen. Wir mußten uns mit Nebenjobs über Wasser halten, zum Beispiel Plakate kleben. Für Supertramp und Udo Lindenberg gab's zehn Mark die Stunde. Einer mußte kleben, der andere aufpassen, daß die Bullen nicht kamen, denn wir haben ja Bauzäune beklebt.

Die Hosen im Untergrund...

Breiti: Jetzt ist das legal, aber damals war noch Kleinkrieg auf der Straße. Einmal gegen die Polizei, wenn sie dich beim dritten Mal erwischt haben, hat's schon 1.000 Mark gekostet. Dann noch gegen die anderen Schwarzplakatierer. Manchmal hast du bei Minusgraden die ganze Stadt zugeklebt, bist abends in die Altstadt, um zu feiern, und bist mit deiner Arbeit zufrieden. Du kommst am ersten Zaun vorbei, und da steht dann „Sportstudio Ellermann“ – alles zugeklebt.

Und heute? Habt ihr eure Leute dafür?

Breiti: Heute können wir kleben lassen.

Von Schwarzkleberkolonnen?

Breiti: Nee, irgendwann haben die ganzen Firmen mal angefangen, die Bauzäune zu mieten. Seitdem ist der Reiz raus.

Wann seid ihr im „Musikantenstadl“?

Breiti: Ich glaube, so eine hohe Summe kann man uns nicht zahlen.

Aber inzwischen taucht ihr doch überall auf, selbst bei Sendungen wie „Warmumsherz“...

Breiti: Wir tauchen nicht überall auf. 80 Prozent aller Anfragen schmeißen wir direkt in den Papierkorb. Und dann: wenn ich 'ne Platte mache, will ich auch, daß andere Leute sie hören. Da unsere Musik nicht besonders radiokompatibel ist, muß ich mich auf andere Mittel verlegen, um neue Platten bekannt zu machen. Und da gehört Fernsehen eben dazu. Leider gibt es im deutschen Fernsehen keine einzige Musiksendung außer dem „Musikantenstadl“, nur Fernsehshows, in denen ab und zu mal eine Band auftritt.

Ihr hattet quasi gar keine Wahl, als bei „Warmumsherz“ zu landen?

Breiti: Klar überlegst du dir vorher, ob man das machen kann. Das haben wir in dem Fall auch. Aber wenn der Kerkeling das Fernsehpublikum so'n bißchen verarscht – das finde ich voll okay. Deswegen haben wir gesagt, das ist nicht schlimm, das kann gut werden. Ich würde mich auch freuen, mehr gute Bands im Fernsehen zu sehen oder im Radio zu hören.

Euer Erfolg steht im umgekehrten Verhältnis zu eurer Beliebtheit bei der Kritik. Die halten euch für nicht mehr zeitgemäß.

Breiti: Schon als wir angefangen haben, war unsere Musik nicht mehr zeitgemäß. Irgendwann holt einen die Mode wieder ein, und im Moment ist es gerade wieder in, Musik zu spielen, die sich anhört wie Ende der siebziger Jahre. Wenn du es einmal geschafft hast, bekannt zu werden, ist's sowieso egal. Das ist wie bei Helmut Kohl, der hat's einmal geschafft und ist immer wieder dran.

Campino: Allerdings hat sich auch die Kultur geändert. Als wir angefangen haben, gab's MTV und Viva noch nicht. Du mußtest dir deine Zuschauer mühselig erspielen. Jetzt machst du als unbekannte Band aus Münster oder Castrop-Rauxel ein Video, was akzeptiert wird, und wirst über Nacht berühmt. Früher waren wir zwar vom Namen her bekannt, aber wir konnten uns erlauben, noch vor dem Konzert draußen rumzulaufen und 'ne Mark zu schnorren. Da haben die Leute gedacht, dem armen Jungen geben wir mal Geld.

Früher war das noch nicht so wie bei Jürgen von der Lippe: Geld oder Liebe?

Campino: Bewertet wird man letzten Endes danach, welche Position man in den Charts hat. Wenn wir auf Platz 1 sind, wird uns ein Sekt angeboten, bei Platz 50 ist nur noch ein Kaffee übrig. Wenn man bekannter ist, macht keiner mehr 'ne Nummer mit dir, weil er dich liebt. Bravo berichtet nicht über uns, weil sie unsere Freunde sind, sondern weil sie berichten müssen. Sobald ihre Leser uns abwählen, sind wir raus.

Ihr habt inzwischen eine eigene Radioshow bei Radio „Fritz“. Wie oft läuft die Sendung?

Breiti: Jede Woche eine Stunde. Wenn uns jemand einfällt, den man einladen könnte, laden wir auch schon mal jemanden ein. Wenn uns ein Thema einfällt, machen wir dazu irgendwas. Wenn uns gar nichts einfällt, dann denken wir uns zweieinhalb Minuten vorher irgend etwas aus. Weshalb Leute anrufen können oder so.

Welche Musik spielt ihr da?

Campino: Grundsätzlich das, was uns Spaß macht. Das ist aber nicht auf ein Gebiet beschränkt, sondern das kann alles sein, von Sitar-Musik bis zu „Peinlichsten Liebesmelodien“. Dabei stimmen wir die Musik allerdings mit dem Thema ab. Am Totensonntag werden eben nur Stücke gespielt, in denen mindestens eine Leiche vorkommt. Und wenn's ums Auto geht, wird man auch nur so was hören wie „Highway to Hell“.

Also ist ein Titel wie „Nichts mehr für die Ewigkeit“ keine Ankündigung, daß ihr bald aufhören wollt.

Campino: Keineswegs. Wir haben jetzt ein Jahr an der neuen Scheibe rumgebastelt und geschraubt und die Außenwelt nicht um Kommentare gebeten. Jetzt sind wir schon sehr gespannt, wie's den Leuten gefällt.

Breiti: Außerdem nehmen wir uns gerne Sachen vor, von denen wir vorher nicht wissen, was daraus wird. Wie das Eishockeyspiel gegen die Leningrad Cowboys oder die Radiosendung. Es hätte ja auch sein können, daß uns bei der Radiosendung nach drei Wochen die Ideen ausgehen. Aber es ist ganz gut, wenn man zu etwas gezwungen wird, wenn man sich irgendwas aus dem Kreuz leiern muß.

Campino: Das wird sicherlich konditionell kein leichtes Jahr für uns werden. Nicht so sehr die Radiosendungen, eher die Konzerte. Man will ja letzten Endes auch Vollgas geben und nicht irgendwelche Kompromisse machen. Dann haben wir ja auch noch den Luxus, daß wir unsere Existenz weitestgehend in Deutschland bestreiten und nicht ständig um die Welt reisen müssen.

Ist es nach all den Jahren wirklich noch so lustig, Tote Hose zu sein – mit all diesen spaßigen Tote- Hosen-Ideen?

Breiti: Ich find's gut, in einem Bus durch die Gegend zu fahren, aus dem Fenster zu gucken und in Städte zu fahren, wo man noch nie gewesen ist, Leute zu treffen, die man noch nie gesehen hat. Jetzt waren wir halt schon achtmal in Bamberg, 17mal in Röchlingen- Völklingen, fahren wir halt mal nach Kopenhagen, nach Århus oder Istanbul. Außerdem habe ich Gitarrespielen nie richtig gelernt, und bei den Hosen ist das inzwischen eingespielt, musikalisch und auf anderen Ebenen.

Campino: Es ist einfach tierisches Glück, daß man mit seinem Hobby, mit seiner Lebensphilosophie ein Leben entwickelt hat, das man sich heute gar nicht mehr anders vorstellen kann.

Laut Promotion-Plan für die CD mischt ihr im nächsten Karnevalszug mit. Macht ihr jetzt auf Düsseldorfer Bläck Föös?

Breiti: Das hat doch damit nichts zu tun. Ich finde Karneval total klasse, egal, ob das in Brasilien, in Trinidad, London oder Düsseldorf ist. Alles, was da auf der Straße los ist. Wenn das allerdings mit Organisation zu tun hat, mit Karnevalsverein, Marschmusik und Uniform, hört's bei mir auf. Aber warum sollen die Kids, die sich Techno, Rap und Metal reinziehen, zu Karneval bei Marschmusik durchdrehen. Für mich ist Karneval zu schade, um ihn den organisierten Affen zu überlassen.

Frei nach Martin Walser: Karneval als Begriff nicht den Rechten überlassen?

Campino: Das hängt alles schon auch davon ab, was wir da machen. Wir haben eine Anlage auf unserem Wagen, damit wollen wir drei Kapellen vorne und hinten weg

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blasen. Das hat mit Establishment nichts zu tun. Wir werden nicht heiopeimäßig winke, winke machen. Wir werden uns vollsaufen, uns da hinstellen, ein paar Platten spielen und alle Viertelstunde mal das Altbierlied anfangen.

Wann gibt es den VW-Golf „Tote Hosen“?

Breiti: Ich glaube, da ist das Interesse auf beiden Seiten sehr gering.

Campino: Wenn Opel anfragen würde... Ein Zweisitzer, noch mit verbleitem Benzin und ganz neu auf dem Markt...

Damit man sich imagemäßig so richtig unbeliebt machen könnte, würde ich so 'nem Projekt noch eine Chance geben.

Breiti: Wenn es so richtig Pott auf Deckel passen würde, würden wir auch was mit einem Sponsor machen – Fromms Pariser zum Beispiel.

Campino: Die Toten Hosen für Catsan Katzenstreu find' ich gut. Da würde ich dann schon mal fragen, wieviel es gibt.

Breiti: Wir baggern da auch schon seit Jahren...

Aber da ist doch Helge Schneider schon unter Vertrag.

Campino: Inzwischen ja. Aber wenn man ein bißchen überlegt, käme man wahrscheinlich auch auf einen guten Sponsorpartner. Ob die das dann allerdings komisch fänden, ist noch die andere Frage.

Das Gespräch führte

Udo Böhlefeld