: Wo die Kammer-Millionen versickerten
■ Erkenntnisse aus dem Rechnungshof-Bericht über die Angestelltenkammer / Zweite Lieferung
Bremens Angestelltenkammer ist bis an die Oberkante Unterlippe verschuldet, trotz der jährlich von jedem bremischen Angestellten abkassierten Beiträge, insgesamt in Höhe von derzeit 13 Millionen Mark jährlich. Wie das kommen konnte, das wollte seit Jahren die DAG-Minderheit in dem Vertretungsorgan der Kammer, der „Vollversammlung“, wissen, und forderte Konsequenzen – vergeblich. In diesem Zusammenhang wurde auch der Rechnungshof eingeschaltet, der die offiziellen Unterlagen der Kammer durchforstete. Das streng vertrauliche 100-Seiten-Papier ist eine Fundgrube für kuriose Bremensien, wir wollen hier in einem zweiten Text (vgl. taz 1.2.96) einige Details ausplaudern.
Wie verschuldet die Kammer ist, das geht für den Rechnungshof auch aus dem Fehlen angemessener Rücklagen hervor. „Einer verantwortlichen Finanzplanung hätte es entsprochen, den sich abzeichnenden Risiken der Bildungseinrichtungen durch eine angemessene Rücklagenerhöhung zu begegnen“, schreibt der Rechnungshof. Das Kammergesetz verlangt sogar ausdrücklich die Bildung von Rücklagen, bei einem Gesamtetat von 55 Millionen Mark wäre eine Summe von sieben Millionen nicht zuviel gewesen, sagt der Rechnungshof. Aber die stetig steigenden Einnahmen – 1982 nur 4,3 Millionen, 1994 satte 13,4 Millionen – verführten die Kammer, sich immer neue Aufgaben ans Bein zu binden. Man habe ja „stille Rücklagen“ gehabt, versuchte sich der Vorstand der Kammer gegenüber dem Rechnungshof herauszureden. „Rücklagen“, so muß der Rechnungshof in seinem Abschlußbericht wie mit erhobenem Zeigefinger dozieren, sind Gelder, die sofort verfügbar sind. Da es der Kammer daran mangelte, mußte sie den Rest ihrer Immobilien an die Sparkasse vepfänden, und da die Kammer nicht in der Lage war, langfristige Kredite auszuhandeln, zahlte sie hunderttausende von Mark für saftige Konto-Überziehungszinsen.
Bereich für Bereich geht der Rechnungshof die „Verlustquellen“ durch und reibt dem Kammer-Vorstand seine Versäumnisse unter die Nase. Nicht einmal eine „Deckungsbeitragsrechnung“ gab es in der Kammer, das bedeutet: So genau rechnete man gar nicht aus, welches Engagement zu welchem Verlust führt.
Zum Beispiel die öffentliche Rechtsberatung
Für 11.000 Beratungsfälle gab die Kammer 1993 insgesamt 748.000 Mark aus, das sind durchschnittlich 70 Mark pro Beratung. Diese Beratung soll solchen Menschen helfen, die nicht das Geld haben, einen Rechtsanwalt oder Steuerberater zu bezahlen. Ein Drittel derer, die zur Beratung kamen, hatten aber die Einkommensgrenzen überschritten, moniert der Rechnungshof. Seit 1994 nimmt die Kammer auf Druck des Senats 20 Mark pro Beratung – 16 Mark davon wandern in die Staatskasse. Der Wirtschaftssenator als Aufsichtsbehörde hätte die Konstruktion der Rechtsberatung gebilligt, entschuldigt sich die Kammer. Nach dem Kammergesetz, wendet der Rechnungshof ein, hätte die Kammer verlangen müssen, daß das Land die Öffentliche Rechtsberatung zu 100 Prozent selbst finanziert.
Bauchtanz für Angestellte?
Viel teurer kamen die Kammer aber die Weiterbildungsmaßnahmen. Nach Kammerauftrag hätten die Angebote kostendeckend kalkuliert werden müssen, sagt der Rechnungshof. Daß die Angestellten aus ihren Gebühren mit 3 Millionen jährlich die Weiterbildung subventionieren, sei nicht einsichtig. Speziell solche Angebote wie „Bauchtanz“ oder „Körperliches Wohlbefinden durch kreativen Tanz“ könnten kaum als „Allgemeinbildung“ interpretiert werden – und überhaupt seien solche praktischen Kurse Aufgabe der Krankenkassen, nicht der Angestelltenkammer. Auch ein großzügiger Zuschuß für ein Gesundheits-Forschungsprojekt, das sich nicht einmal auf die Gesundheit von Bremer Anstellten konzentrierte, widerspricht dem Kammer-Gesetz.
Die Liste ist unendlich lang, zum Beispiel hat die Kammer eine wissenschaftliche Untersuchung fürstlich finanziert, in der es um das Image der Gewerkschaften bei Studenten ging – eindeutig Auftragsforschung für die Gewerkschaften und nicht Sache der Kammer, findet der Rechnungshof.
Grundsätzlich stellt der Rechnungshof auch infrage, ob die Kammer legitimiert war, eine privatrechtliche Bildungseinrichtung „bbi-GmbH“ als Tochterfirma zu gründen. Daß mit dieser Konstruktion die Kammeraufgaben besser erfüllt werden konnten, so die offizielle Begründung, bezweifelt der Rechnungshof. Das bbi engagierte sich in Bereichen, die nicht Auftrag der Kammer sind. Und in der bbi-GmbH fielen Jahr für Jahr Verluste in Millionen-Höhe an, eine Kontrolle der GmbH durch die Gesellschafterin, die Angestelltenkammer, fand praktisch nicht statt, bis der Kammervorstand durch die drohende Zahlungsunfähigkeit desbbi wachgerüttelt wurde. 7,2 Millionen Mark wird die Kammer das bbi-Abenteuer kosten.
Mitarbeiter der Kammer sind gleicher...
Ein anderer Bereich, in dem der Rechnungshof die großzügige Wirtschaft der Kammer mit dem Geld der Beitragszahler moniert, sind die außerordentlichen Sozialleistungen. In einer offiziellen Dienstvereinbarung begründete die Kammer ihre Großzügigkeit damit, es sei „langjährige Tradition der Angestelltenkammer, für ihre Bediensteten im Vorgriff auf künftige tarifliche Entwicklungen gewerkschaftliche Forderungen zu realisieren“. Vorgriff bezieht sich dabei auf das Niveau des Öffentlichen Dienstes, das den Kammer-Tarif bestimmt. Der Schönheitsfehler bei diesem Fortschrittsdenken: Um diesen „Vorgriff“ zu finanzieren, muß die Kammer über die Zwangsbeiträge in die Tasche der anderen Angestellten zurückgreifen, die meist nicht die Vorzüge des Öffentlichen Dienstes genießen und dann auch noch etwas weniger haben, damit ihre Kammer etwas mehr hat. „Unvertretbar“, schimpft der Rechnungshof.
Ein erhöhtes Urlaubsgeld leisten sich die Angestellten der ersten Klasse, 30 Mark im Monat bekommen sie einfach nur dafür, daß sie früher einmal Essensmarken bekamen. Das verfügte der Vorstand einfach so – ohne Dienstvereinbarung, „ein entsprechender Beschluß der Vollversammlung liegt ebenfalls nicht vor“. Die Zahlungen „sind einzustellen“ schreibt der Rechnungshof. Aushilfen, Weihnachtsgratifikation, Kontoführungs-Zulage, Reisekosten-Abrechnungen über dem Satz des öffentlichen Dienstes, zinslose Darlehen an Mitarbeiter, Dumping-Mieten für Plätze im Parkhaus, Ausgaben für Feste und Feiern und so weiter – überall ist die Kammer etwas großzüger mit dem Geld der Angestellten umgegangen als die Beitragszahler es für sich kennen.
Fazit: Die Angestellten sind als zahlende Mitglieder alle gleich, nur die Mitarbeiter der Angestelltenkammer sollten per „Vorgriff“ etwas gleicher sein. Der Vorgriff „ist einzustellen“, sagt der Rechnungshof. K.W.
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