: Faust im Nacken
Rodelweltmeisterin Jana Bode erweist sich endlich als „locker“ genug für die großen Titel ■ Aus Altenberg Peter Unfried
Die Faust im Nacken von Jana Bode gehörte wem? Susi Erdmann! Es standen die beiden im Ziel nebeneinander, groß und blond die eine, nicht so groß und weniger blond die andere. Doch die Faust war nicht angespannt. Die Berührung auf der Halsrückseite drückte aus: den Respekt der Zweiten für die an diesem Tag eindeutig beste Rodlerin der Welt.
Das ist Jana Bode, und das mag die verwundern, die den Saisonverlauf im Weltcup nicht genau mitverfolgt haben. Und womöglich auch jene, die es getan haben. Bode (26) war zuletzt bei WM und Olympia jeweils als Favoritin nach Lillehammer gekommen: Ergebnisse: Platz 14 und 9. „Falsch trainiert“, sagt sie, habe sie all die Jahre, was dazu geführt hatte, daß nach frühen Saisonerfolgen die Leistungskurve stets steil abfiel. Bei der eigenen Standortbestimmung im Sommer fand sie sich in der „zweiten Reihe in Deutschland“, hinter den Kolleginnen Kohlisch, Erdmann, Otto. Woraus folgte: „Entweder du läßt es, oder du greifst noch mal an.“ Im fortgeschrittenen Alter einer Leistungssportlerin ist das freilich so einfach nicht: Kraft- und Konditionswerte sind bestenfalls zu erhalten, nicht mehr zu steigern. Was kann frau dann? „So trainieren“, sagt Jana Bode, „daß man die Kondition über die Saison hin halten kann.“ Seit Sommer geht sie ihrem Mindestens-Achtstundentag mit „dem Harten, dem Durchbeißen, dem letzten Biß“ nach.
An Bissigkeit allerdings, sagen die, die sie länger kennen, habe es Jana Bode nie gefehlt. Den Republikflüchtling des Herbstes 1989 hatte zwei Jahre zuvor die DDR „vom Leistungsauftrag entbunden“. Im vereinten Rodelteam fanden sich neben der Exilsächsin dann jene ein, die ihr einst vorgezogen worden waren, insbesondere die Vorzeigerodlerin Erdmann. Im komplexen Geflecht zwischenfraulicher Beziehungen fühlte sich die Rübergemachte unter lauter Ostlerinnen ständig benachteiligt. „Die Jana“, sagt selbst der wahrlich nicht zur Gesprächigkeit neigende Bundestrainer Thomas Schwab, habe sich „über alles und nichts aufgeregt“.
Oberstes Trainerziel war also, „diese Spannungen rauszunehmen“. Jüngere rücken nach, so daß Schwab den Etablierten klarmachen konnte, daß sie nur als funktionierende Gemeinschaft „das Viererpaket zuschnüren“ könnten. Nicht, daß die sich nun lieben würden: Doch arbeiten jetzt auch jene zusammen, die einst zeitweilig stumm ein Zimmer teilten.
Und wenn eine in beiden Läufen klar die Beste ist, wird das anerkannt. „Der Jana“, sagt Susi Erdmann (28), „ist es zu gönnen. Sie ist das ganze Jahr souverän gefahren.“ Während die von den Hebeln bevorteilte 1,84-m-Frau ihre Startbestzeiten nicht nach unten zu bringen vermochte, holte Bode (1,72 m) die oben pro Lauf verlorenen fünf Hundertstel unten mehr als auf. Wo Erdmann in Kurve 9 bei relativ niedrigem Tempo abrutschte, hatte Bode den Schlitten optimal an die Wand gedrückt: „Man lenkt, und läßt doch den Schlitten locker laufen.“ So geht das. Etwas zuviel Druck, und es ist vorbei. Zu wenig: dito. Weil Bode dem perfekten Schweben derzeit sehr nahe ist, hat sie auch auf dem High-Speed-Teil der Strecke jede Menge Hundertstel gewonnen.
Locker lassen ist das halbe Rodeln, auch außerhalb der Bahn. Privat bildet sie in Winterberg offenbar ein gutes Doppel mit Thomas Rudolph (25), zusammen mit Yves Mankel WM-Fünfter im Doppelsitzer. Es hilft auch, wenn frau fünf Kilo leichter geworden ist. 60 wiegt Bode nun, ist „athletischer“ (Schwab), mit der nötigen Schnellkraft am Start, die immer schon guten Maximalkräfte in den Eiskanal zu beschleunigen.
Eine wie Susi Erdmann („Wo ist die Kamera?“) wird sie freilich nicht: Das stets kieksende Hobbymodel mit der Vorliebe fürs kleine Schwarze bleibt diejenige, die trotzig, doch verlassen daran arbeitet, sich und damit auch die Nischensportart ins öffentliche Bewußtsein zu schieben. Bode macht sich derweil innerhalb der überschaubaren Rodelwelt zum kompletten Erfolg auf: Nach EM und WM möchte sie „auch den Weltcup gewinnen“. St. Moritz nächstes Wochenende und Oberhof kommen noch. Daß die Weltcupführende es schafft, daran zweifelt keiner. Auch nicht, daß noch mehr kommt. „Das ist keine Eintagsfliege“, sagt Thomas Schwab.
Im Schaufenster Nagano 1998 muß das Rodeln seinem Gönner, dem Innenministerium, die wahren Leistungsnachweise bringen. Gold wäre da für die bei Olympia medaillenlose Bode das endgültige Happy-End. Doch das fehlt auch einer Inhaberin von Silber und Bronze noch. Spätestens bei dieser Gelegenheit wird Susi Erdmann die Faust im Nacken Jana Bodes wieder etwas anspannen.
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