: Prognosen stehen auf Stelzen
■ Thyssen räumt wesentlich höhere Kosten für den Transrapid ein / Jobzuwachs für Ostdeutschland unsicher
Berlin (taz) – Während auf der Transrapidstrecke im Emsland die Schrauben wackeln und der Beton bröselt, zerfallen in Bonn die Prognosezahlen für die Magnetschwebebahn zwischen Berlin und Hamburg. Wenn die Stelzenbahn wie geplant im Jahr 2005 fertig sein sollte, hat sie mindestens 12,25 Milliarden Mark gekostet. Rund 7,5 Milliarden Mark gehen zu Lasten der öffentlichen Hand. Das räumt jetzt auch Thyssen Henschel in einer Stellungnahme für den Bundestag ein. Bisher war offiziell immer von den 1993 ausgerechneten 8,9 Milliarden Mark die Rede. „Nunmehr soll jeder deutsche Steuerzahler fast 200 Mark für eine unsinnige Strecke zwischen Hamburg und Berlin blechen“, moniert Peter Westenberger vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).
Doch viele KritikerInnen glauben, daß die Bilanz letztendlich noch viel fataler ausfallen wird. Werner Rothengatter, Wirtschaftsprofessor an der Uni Karlsruhe, sieht „die Risiken des Vorhabens ... durch betriebswirtschaftlich unzulässige Annahmen heruntergerechnet“. So suchen sich die BefürworterInnen dauernd die günstigsten Annahmen für Nachfrage, Erlös und Kosten heraus. Immer wieder wird die von Rothengatter angenommene Zahl von 14,5 Millionen Beförderungsfällen im Jahr zur Grundlage für die Wirtschaftlichkeitsberechnung herangezogen. Dabei hatte er sie selbst als günstigsten Fall definiert: Die Erreichbarkeit der Haltepunkte mit dem Auto sollte gut und das Angebot an Abstellplätzen optimal sein. Außerdem hatte er unterstellt, daß die mit dem Pkw anreisenden Passagiere keinen Stau zu befürchten hätten. Doch inzwischen sind die Fahrpreise erhöht worden, und die Finanzierung der Parkplätze ist weiter völlig ungeklärt – die BefürworterInnen aber halten an der Zahl fest. Die Magnetschnellbahn-Planungsgesellschaft bringt mittlerweile sogar Prognosen von 15 bis 17 Millionen Passagieren ins Gespräch, die sie mit den zentraler gelegenen Endstationen in Berlin und Hamburg begründet. Diese zusätzlichen Fahrgäste sollen die wesentlich höheren Investitionskosten in den Großstädten ausgleichen. Verschwiegen wird dabei, daß der Bund den Preis für den Anschluß an die Zentralbahnhöfe zahlen muß – mithin die 7,5 Milliarden Mark mit Sicherheit zu optimistisch sind.
Auch bei den erwarteten Arbeitsplätzen jonglieren die Transrapid-Fans ständig mit anderen Zahlen. Thyssen versichert, daß in der Bauphase 18.000 Menschen in Lohn und Brot stehen werden. 7.300 Jobs sollen in den angrenzenden Regionen enstehen. „Bisher ging die Industrie von einer vier Prozent höheren Arbeitsplatzwirkung aus“, konstatiert Westenberger.
Davon abgesehen, daß auch für einen Schienenausbau ähnlich viele Arbeitskräfte benötigt würden, ist unsicher, ob die Arbeitslosen in Ostdeutschland vom Transrapid profitieren – so wie die Regierung glauben machen will. Die Aufträge für den Streckenbau müssen nämlich europaweit ausgeschrieben werden. „Daher ist nicht zu erwarten, daß die Schiffbauindustrie in Mecklenburg-Vorpommern diese Aufträge erhält, zumindest nicht ohne Subventionen“, meint Andrea Meyer von Robin Wood. Annette Jensen
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