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NS-Urteil gegen Bonhoeffer aufheben!

■ Initiativen forden die Rehabilitierung des ermordeten Widerstandskämpfers

Hannover (taz) – Viele Straßen, Kirchen oder Schulen sind nach dem Widerstandskämpfer und Pazifisten Dietrich Bonhoeffer benannt. Doch das Todesurteil wegen Landes- und Hochverrats, das die NS-Justiz am 8. April 1945 gegen den Pfarrer verhängte, ist weiter rechtsgültig, weil der Bundesgerichtshof 1956 Bonhoeffers Henkern ein nach nationalsozialistischer Gesetzeslage „einwandfreies Verfahren“ zugute hielt.

Aus Anlaß des 90. Geburtstags des am 9. April 1945 hingerichteten Widerstandskämpfers haben gestern zwei Initiativen die Aufhebung des NS-Unrechtsurteils verlangt. Eine Gruppe ehemaliger DDR-BürgerrechtlerInnen verlangte eine Erklärung des Bundestages, in der die Todesurteile gegen Bonhoeffer und seine Gefährten „als Terrorentscheidung bewertet werden“. Dozenten und Studierende der Evangelischen Fachhochschule Hannover wandten sich direkt an die Justiz. Sie stellten beim Berliner Generalstaatsanwalt ein Wiederaufnahmebegehren, das einen Freispruch Bonhoeffers und eine Aufhebung des Urteils zum Ziel hat. Nach Auffassung des FH-Dozenten Lehmann läßt sich das Unrechtsurteil auch ohne Bundestagsbeschluß oder Gesetzesänderungen aus der Welt schaffen.

Eine Grundlage für eine Wiederaufnahme des Verfahrens sehen sie im „Zuständigkeitsergänzungsgesetz“ aus dem Jahre 1952, das bei Urteilen von NS-Sondergerichten eine Wiederaufnahme auch dann zuläßt, wenn keine neuen Beweismittel oder Tatsachen vorgelegt werden. „Die Justiz selbst soll ihre schlimme Entwicklung in der jungen Bundesrepublik begreifen und korrigieren“, begründete Lehmann mit Blick auf das BGH-Urteil. Der Antrag begründet auch die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft in Berlin, wo Bonhoeffer vor seiner Verhaftung im Jahre 1943 gelebt hatte und gibt der Strafverfolgungsbehörde Hinweise auf in München und Prag archivierte Justizakten. „Wenn die Berliner Staatsanwaltschaft sich unseren Aufnahmeantrag zu eigen macht, kann das Unrechtsurteil in wenigen Monaten durch Veröffentlichung im Bundesanzeiger aus der Welt sein“, sagte Professor Lehmann.

Die Initative der DDR-Bürgrerrechtler mit dem Namen „Gerechtigkeit für Dietrich Bonhoeffer“ hat gestern am Sitz des Bundesgerichtshofes eine Tafel enthüllt, die an dessen skandalöse Entscheidungen aus den 50er Jahren erinnert. Weiter verlangt die Initiative vom Bundestag, er solle endlich die Urteile der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse förmlich anerkennen. Jürgen Voges

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