: Der Peiniger in Uniform kommt nur selten allein
■ Polizisten vor Gericht: ein Dilemma selbst für aufklärungswillige Richter
„Das auf die Strafanzeige Ihrer Mandantin hin eingeleitete Strafverfahren gegen die Polizeibeamten B., F. und G. wegen Körperverletzung im Amt und tätlicher Beleidigung habe ich nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.“ Für Juristen ein Standardsatz, für die afrikanische Geschäftsfrau Elizabeth 0. das Ende des Versuchs, ein Schleudertrauma, ein geschwollenes Handgelenk, Schulter- und Rückenprellungen und Demütigungen nicht auf sich beruhen zu lassen.
Am 2. August 1995, so bezeugt Elizabeth 0. aus Ghana, seien fünf Männer in Zivil in ihren Berliner Laden gekommen, um die Papiere ihrer meist afrikanischen Kunden zu kontrollieren. Frau 0. verlangte die Dienstausweise der Eindringlinge, denn schon zuvor hatten sich nächtens bei ihr mehrere Kerle als „Kriminalpolizei“ ausgegeben und waren dann mit der Ladenkasse verschwunden. Als sie deshalb den Männern nun den Zutritt verwehrte, drangen die fünf gewaltsam ein, drückten Frau 0. auf den Tresen und verdrehten ihr die Hände auf dem Rücken. Dabei kam es zu den später ärztlich attestierten Verletzungen.
„Diese Anwendung des unmittelbaren Zwangs war verhältnismäßig und demnach das Verhalten der Beschuldigten gerechtfertigt. Die Tür einzuschlagen wäre sicher kein milderes Mittel gewesen“, begründet die Staatsanwaltschaft ein halbes Jahr später die Einstellung der Ermittlungen.
Anwälte, die AusländerInnen vertreten, kennen die immer gleiche Begründung: nachgewiesene Blessuren, aber keine Beweise dafür, wie sie zustande gekommen waren. Im Zweifelsfall sind sie immer Resultat eines harten polizeilichen Durchgreifens gegen den Widerstand gegen die Staatsgewalt. Und immer gibt es dafür mindestens einen Zeugen: den uniformierten Kollegen des Beschuldigten, denn ein Polizist kommt selten allein. Wenn erst zwei Aussagen gegen eine stehen, dann ist das ein nur allzu willkommener Grund für die Verfahrenseinstellung. Die Berliner Justiz ist ein Paradebeispiel dafür: Von über 60 Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit polizeilichen Mißhandlungen von Vietnamesen sind mittlerweile fast alle eingestellt.
Polizei-Übergriffe tatsächlich nachzuweisen ist schon für Deutsche schwer. Für Ausländer jedoch ist das ein schier aussichtsloses Unterfangen. Weil sie keinen gesicherten Aufenthalt in Deutschland haben, trauen sich viele gar nicht erst, Anzeige zu erstatten. Aufgrund von Sprachschwierigkeiten gelingt es ihnen nur selten, den Wortlaut wiederzugeben, der einer Auseinandersetzung mit der Polizei meist vorausgeht. Auch Zeugen zweifelsfrei wiederzuerkennen fällt AusländerInnen oftmals schwer, da die „Weißen sich zum verwechseln ähnlich sehen“.
Ohne kostspielige Vertretung bleibt den meisten das deutsche Justizsystem unverständlich. Daß sich etwa Zeugen nicht über das Prozeßgeschehen austauschen dürfen, wissen viele nicht. Vor Gericht verwickeln sie sich häufig in Widersprüche, weil sie den Hintergrund und die notwendige Detailbesessenheit vieler Fragen nicht verstehen. Ein gefundenes Fressen für die Verteidiger der Peiniger in Uniform, ein Dilemma selbst für aufklärungswillige Richter.
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