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Asozial mit dicker Lippe

■ Am humanbiologischen Institut werden seit zwanzig Jahren Vorlesungen über Rassenkunde gehalten – wertfrei, versteht sich Von Ulrike Winkelmann

„Ich darf doch als Wissenschaftler nicht lügen und sagen, daß es keine Unterschiede zwischen den Menschen gibt.“ So gesehen hat Virendra Chopra, Professor der Humanbiologie an der Universität Hamburg, recht. Einige Fragen bleiben jedoch offen, zum Beispiel, welche Unterschiede von wem zu welchem Zweck erforscht werden.

Chopra nennt sich „Populationsgenetiker“. Seit zwanzig Jahren liest er über „Rassenkunde des Menschen“, ein unverzichtbarer Teil seines Wissenschaftszweigs, wie er sagt. „Adäquates Verständnis der geographischen Variabilität des Menschen“ ist laut Ankündigungstext das Lernziel der Veranstaltung, frei übersetzt: Zu begreifen, warum in Europa die Menschen hellhäutig und spitznasig sind und in Australien dunkelhäutig und stumpfnasig. Rund 25 Studierende, viele schon im Seniorenalter, lauschen in diesem Semester seinen Vorträgen über die „Rassenklassifikation“ des Menschen.

Mitglieder der „Hochschul-Antifa“ haben die Vorlesung das Semester über besucht und an verschiedenen Punkten versucht, eine Diskussion über Begrifflichkeiten, Tradition und Ziele der Rassenkunde zu führen. „Wir wurden unter Berufung auf die wertfreie Wissenschaft abgebügelt“, schildert Felix Hoffmann die Reaktion der TeilnehmerInnen. Als am vergangenen Mittwoch ein Grüppchen Studierender vor dem Instituts-Eingang am Allendeplatz ein Transparent mit der Aufschrift „Hier und heute: Rassenkunde des Menschen“ hochhielt und die „tausendjährige“ Tradition des Gebiets anprangerte, reagierte niemand in der Vorlesung darauf. „Diese Studenten haben nicht begriffen, daß es hier um Biologie und nicht um Soziologie geht“, sagt einer der Hörer.

Biologiestudentin Frauke Henning ist fassungslos über die Haltung ihrer KommilitonInnen: „Die Studierenden halten am Rassenbegriff heftiger fest als Chopra selbst.“ Johann Knigge von der Hochschul-Antifa meint: „Die meisten haben rassistisches Gedankengut im Kopf und wollen sich das bei Chopra verwissenschaftlichen lassen.“ Diese Vermutung teilt auch Heidrun Kauper-Haas, Professorin und Geschäftsführende Direktorin der Medizin-Soziologie. „Wissenschaftliche Modelle sind nie ideologiefrei“, sagt sie. „Wenn sich die Humanbiologen nicht mit der Tradition ihres Erkenntnis-Interesses auseinandersetzen, haben sie sie akzeptiert.“

Chopra verwendet Text- und Bildvorlagen des Rassen-Experten Egon Freiherr von Eickstedt, der in seinem 1934 erschienenen Werk „Rassenkunde und Rassengeschichte der Menschheit“ den wissenschaftlichen Boden für hitlerdeutschen Rassen- und Großmachtswahn ebnete. Zitat: „Nur bewußtes Befolgen der ewigen Gesetze von Rasse und Leben kann also die Gesundung der Völker bringen und die Gefahren bannen, die Europa und der Welt greifbar nahe drohen. Der Nation, die hier voran geht, gehört die Zukunft.“

Professor Chopra bezeichnet von Eickstedt als „weltweit anerkannten Forscher“, im übrigen sei ihm „von Äußerungen von Eickstedts im Dritten Reich nichts bekannt“. Sie interessieren ihn auch nicht: „Rassismus ist nicht mein Thema.“ Von Eickstedt ist Gründer einer Wissenschaftler-Dynastie: Er war Lehrer der Mainzer Anthropologin Ilse Schwidetzky, die 1950 in ihrer „Völkerbiologie“ die These vertrat, daß Kolonialismus dem Prinzip der „natürlichen Auslese“ zwischen „primitiven“ und „progressiven Rassen“ folge. Schwidetzky wiederum war Doktormutter von Rainer Knußmann, dem Geschäftsführenden Direktor der Hamburger Humanbiologie.

Knußmann ist Autor verschiedener humanbiologischer Grundlagenbücher, zum Beispiel der „Vergleichenden Biologie des Menschen“ von 1980. In diesem am Institut verwendeten Lehrbuch folgt auf das Rassenkunde-Kapitel – hübsch anzusehen das Bild des „teutonordiden Schweden“ mit Hitlerbärtchen am Anfang einer Paßfoto-Galerie, die mit der „fuegiden Yamana-Frau“ aus Feuerland endet – direkt das Kapitel über „Sortierung und Reproduktion der Bevölkerung“. Hier erfahren wir, daß „Zigeuner, Landstreicher, Trinker, Arbeitsscheue“ zu den „Asozialen“ zählen, die häufig krumme kleine Finger sowie „füllige Lippen“ haben.

Medizin-Soziologin Kaupen-Haas hofft, daß die Debatte um die Humanbiologie und deren rassenhygienische Vergangenheit „wieder geführt wird“. „Die Humanbiologen haben heute ihre wirtschaftlich verwertbaren Anwendungsfelder gefunden; die vermessen zwar immer noch ,Negerschädel', aber sie kümmern sich jetzt auch darum, ob ein Stuhl zum Schreibtisch paßt und der Mensch dazwischen.“ Für eine Abschaffung der Humanbiologie sei sie nicht zu haben, aber „man muß dafür sorgen, daß das Wissen um die rassenhygienische Tradition der Humanbiologie nicht mit jeder Studentengeneration verlorengeht.“

AG Rassenkunde ruft auf zur Kundgebung am morgigen Mittwoch, 11.15 Uhr vor dem Institut Allende-Platz 2

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