: Warten auf Armageddon
Nach einem erneuten Störfall protestiert die irische Regierung offiziell gegen die englische WAA Sellafield und die englischen Pläne für ein neues Atommüllendlager ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck
Natürlich war es kein Leck. Man habe die 53 Arbeiter am Freitag lediglich als Vorsichtsmaßnahme evakuiert, weil die Meßgeräte plötzlich erhöhte Radioaktivität gemeldet hatten. Das gab British Nuclear Fuels (BFNL), die Betreiberin der englischen Plutoniumschleuder Sellafield, vorgestern bekannt. In Irland, das gegenüber auf der anderen Seite der Irischen See liegt, hat der neuerliche Unfall am Sonntag eine Demonstration vor der britischen Botschaft in Dublin ausgelöst. Umweltminister Brendan Howlin sprach von einem „unakzeptablen Umweltrisiko“ und versprach, sich dafür einzusetzen, dieses „Risiko auszuschalten“.
Die irische Regierung hat lange gebraucht, bis sie öffentliche Kritik am unfallträchtigen Atomprogramm des Nachbarn äußerte und sich auf die Seite der Umweltschutzgruppen stellte. Erst als Thorp, die neue Wiederaufarbeitungsanlage in der Größe des Wembleystadions, vor zwei Jahren in Betrieb ging, regten sich erste offizielle Proteste. Im vergangenen Jahr schrillten die Alarmglocken in Dubliner Regierungskreisen erneut, nachdem Nirex, die Müllabfuhr der Atomindustrie, einen Antrag auf ein unterirdisches Labor in der Nähe von Sellafield gestellt hatte. Das sei nichts als ein „trojanisches Pferd für ein Atommüllager am Ufer der Irischen See“, sagte Energieminister Emmet Stagg.
Die irische Regierung hat inzwischen Professor Elihu Lauterpacht eingeschaltet, einen Experten in internationalem Recht, der die notwendigen juristischen Schritte gegen Nirex einleiten soll. Das Unternehmen will mit Hilfe eines Felslabors die geologischen Eigenschaften der Gegend untersuchen. Geht es nach Nirex, soll an der Stelle später eine unteriridische Atommüllkippe entstehen, die bis zu 400.000 Kubikmeter radioaktiver Abfälle faßt. Nirex geht zwar nicht davon aus, daß es keine Lecks geben wird, aber jede Radioaktivität werde in diesem Fall „verdünnt und verteilt“. Mit anderen Worten: Die Irische See wird's schon richten. Dank Sellafield ist das Meer zwischen Großbritannien und Irland ohnehin das radioaktiv verseuchteste Gewässer der Welt.
Ein Bericht der angesehenen Londoner Beratungsfirma W. S. Atkins, den sie im Auftrag der staatlichen Umweltbehörde erstellte, hat in der Nirex-Chefetage jedoch rote Köpfe verursacht. Die Autoren warnen, daß das Trinkwasser verseucht werden könnte und die Bevölkerung in der Nähe der unteriridischen Müllkippe schließlich der zehntausendfachen Höchstdosis ausgesetzt werde: neun Sievert im Jahr. Die zulässige Höchstmenge liegt in Großbritannien bei einem Tausendstel Sievert im Jahr, bei neuen Anlagen darf die zusätzliche Belastung höchstens ein Drittel betragen.
Zwar heißt es in dem Bericht, daß die Katastrophe möglicherweise erst in 25.000 Jahren eintreten werde, doch Professor Lauterpacht sagte, Nirex dürfe nicht davon ausgehen, daß „irgendein Armageddon passieren wird, wodurch das Leben in diesem Teil der Erde ohnehin ausgelöscht wird und das Atommüllproblem dadurch gegenstandslos wird“.
Nirex-Sprecher Tom Curtin sagte, die Autoren des Berichts haben einen „völlig unrealistischen Fall angenommen, der keine Basis in der Realität“ habe. Der britische Umweltminister John Gummer muß nach Abschluß der öffentlichen Anhörung im Oktober über das unterirdische Labor entscheiden. Da sich Gummer – sein norwegischer Amtskollege nannte ihn „Dreckspatz“ – in der Vergangenheit als Meister der Verharmlosung erwiesen hat, muß man kein Prophet sein, um seine Entscheidung vorauszusagen.
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