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Der „Betondeckel als Machtgeste“

In Berlin wird heftig über das Holocaust-Denkmal gestritten. Es sei eine „Kranzabwurfstelle“, ein „perverses Ding“, sagen die Kritiker und fordern eine erneute Diskussion  ■ Von Rolf Lautenschläger

Für Peter Conradi, Bundestagsabgeordneter der SPD, „ist das Ding gescheitert“. Die „monströse Platte“ der Künstlerin Christine Jackob-Marks als „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ begrabe die Erinnerung an die Opfer mehr, als daß sie diese befördere. „Da gibt es kein Nachdenken, keine Trauer, eher das Gegenteil.“ Außerdem könne es nicht sein, daß die Gestaltung für ein nationales Holocaust-Mahnmal zwischen Lea Rosh, Initiatorin des Denkmals, und Bundeskanzler Helmut Kohl „hinter verschlossenen Türen verhandelt wird“. Conradi: „Wir brauchen eine neue Debatte, einen neuen Standort, einen neuen Wettbewerb.“

Conradi, der die Mitglieder der Bonner SPD-Fraktion heute zum „Holocaust-Hearing“ versammelt, ist nicht der einzige, der die schiefe Grabplatte, die Mitte 1995 nach einem Wettbewerb unter 528 Einsendungen zum Siegerentwurf gekürt worden war, am liebsten ganz kippen würde. Im Dickicht der Ablehnungen und Widersprüche – der Historiker Michael Wolffsohn denunzierte den Wettbewerb im besten Landserdeutsch als „Kranzabwurfstelle“ – haben sich jetzt auch Kritiker vorgewagt, denen es nicht um Negation, Monumentalität oder die stigmatisierende Mathematik der Opfernnamen geht.

So kritisiert der Berliner Kunsthistoriker Hans-Ernst Mittig den anachronistischen Denkmalsbegriff von Lea Rosh, die in platter Parallelisierung die „Größe des Verbrechens in der Größe des Mahnmals“ symbolisiert sehen will. Die zum gigantischen Zeichen der Vernichtung aufgeblähte Platte, meint Mittig, erinnere in nicht geringem Maße an die „geplanten Totenburgen der Nazis“ oder an wilhelminische Großdenkmäler. „Ein Betondeckel als Machtgeste“ schaffe keine Motivation zum „Nachdenken, zum Nachlesen“ an einem „Denkort“.

Salomon Korn, Architekt und Gedenkstättenbeauftragter des Zentralrats der Juden in Deutschland, wendet sich neben der unangemessenen Megaform auch gegen den Standort auf dem Areal der einstigen Ministergärten südlich des Brandenburger Tores. Der Ort, heute eine Brache, die im Schlagschatten der Mauer entstand, bilde einen zu geringen öffentlichen Charakter. Vielmehr müsse das Denkmal an einer Stelle im Stadtgrundriß stehen, der belebt, der repräsentativ sei. Ein neuer Wettbewerb mit beschränkter Teilnehmerzahl und klar formulierten Vorgaben für den Standort und die Funktion des Denkmals sollte ausgelobt werden. Welche „Funktion“ das Mahnmal haben soll, läßt Salomon freilich unbeantwortet.

Wie Korn setzt sich auch der New Yorker Historiker James Young dafür ein, die Gedenkstätte an einem zentralen Ort des öffentlichen und politischen Lebens zu bauen. So sinnfällig die Idee erscheint, Young schränkt sich – das „Ding“ vor Augen – gleich wieder ein: Es sei „pervers“, das leergeräumte und zukünftige Stadtzentrum von Berlin mit einem Monument der Trauer zu blockieren.

Daß ausgerechnet das ARD- Magazin „Kontraste“ am Wochenende die Mahnmalentwürfe des amerikanischen Künstlers George Segal in New York und San Fransisco sowie die Skulpturen von Fritz Koenig (Berlin) ins Spiel brachte, um die Diskussion auf das Gleis abstrakter versus gegenständlicher Kunst zu lenken, weist nurmehr auf die Unreife der Debatte hin. Jeder Vorschlag zieht den Widerspruch nach sich, jeder Widerspruch provoziert eine neue Idee. Hilflos verstrickt im Konflikt notwendiger Entscheidungsfindung erscheint selbst Ignatz Bubis, Vorsitzender des Zentralrats der Juden. Zwar kritisiert er den Grabplattenentwurf und fordert dessen Überarbeitung gemeinsam mit dem zweiten Wettbewerbssieger Simon Ungers, lehnt andererseits Conradis Vorstoß für einen neuen Wettbewerb ab, aus Sorge, „das Mahnmal könne dann ganz zerredet werden“.

Wie aber könnte der Weg zu einem „richtigen“ Denkmal aussehen? Wenn, wie im Magazin „Kontraste“, von Conradi und anderen die Kritik in die Forderung nach einem neuen Wettbewerb mündet, scheint diese aus dem ersten „monumentalen“ Versagen nichts gelernt zu haben. Der Vorschlag, einen zweiten Wettbewerb auszuloben, schiebt die Verantwortung für die Mängel und Unzufriedenheit am jetzigen Ergebnis den Defiziten der beteiligten Künstler zu, anstatt zu erkennen, daß schon bei der Aufgabenstellung Weichen falsch gestellt wurden. Klärungsbedarf und Diskurs sollten vor neuen Gestaltungsversuchen stehen. Eine wie immer geartete künstlerische Geste der Trauer, so Mittig, „erledige nicht die aktive Geschichtsarbeit“.

Auch der Kasseler Künstler Horst Hoheisel plädiert erst einmal für keinen neuen Wettbewerb, sondern einen Diskussionsprozeß, „wo immer wieder neu nachgedacht wird“. Zudem sei ein Trauermahl falsch: Ein Mahnmal im Land der Täter müsse anders aussehen, „es muß die Täterschaft reflektieren“.

Die Forderung nach einem Offenhalten der Form und dem Beginn der Diskussion für ein Mahnmal an einem authentischen Ort ist nicht neu: Axel Schultes, Architekt des neuen Kanzleramtes gegenüber dem Reichstag, hatte gleich nach der Betonplattenentscheidung gefragt: „Die Kunst, wäre die ein tauglich Ding, Zeugnis abzulegen für oder gegen den Holocaust? Macht der erweiterte Kunstbegriff vor gar nichts, auch vor der Shoa, halt?. Ein Mahnmahl, jenseits der Vernichtungslager? – Am beliebigen Ort? Jenseits der US-Botschaft?“

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