: Wörter bremsender Wale
■ La Monte Young inszenierte ein Schleif-Poem in einer Skateboard-Halle
Im Gang unter einer Halfpipe, so der Name der hölzernen Steilbahnen für Skateboard-Akrobaten, stehen zwei Mittvierziger mit Stühlen in der Hand, und der eine fragt den anderen scherzend: „Na? Haste schon gestimmt?“ Zwei Stunden später ist den beiden „Musikern“, die zu dem 26köpfigen Ensemble gehören, die an diesem Abend La Monte Youngs Poem for Chairs, Tables, Benches etc. von 1960 in der Skateboard-Halle von Thomas-I-Punkt aufführen werden, das Witzeln ebenso vergangen wie den meisten Besuchern. Denn in der ungeheizten Halle kann einen wohl auch das gleichmäßige Ziehen von Möbelstücken über den Zementfußboden, woraus das Stück besteht, nicht davon ablenken, daß einem bei dieser Kunst der Arsch abfriert.
Doch bevor die nächtlichen Minusgrade das Publikum nach und nach in die Flucht schlugen, hatte man Teil an einer außergewöhnlichen Aufführung in einem Ambiente, das nur auf den ersten Blick merkwürdig erschien. Tatsächlich entwickelte sich eine erstaunliche Korrespondenz zwischen Ort, Publikum, Komponist und Konzert.
Die erste Überraschung boten schon die Gäste, die sich wie selbstverständlich in die Gebirgslandschaft aus Skateboard-Rampen einpaßte. Denn statt der erwarteten strengen Menschen, denen Neue Musik neue Religion ist, tummelte sich hier überwiegend ein Publikum, das man mehr bei einem Rockkonzert erwartet hätte. Junges Volk in Sportswear und Lederjacke, mit PLO-Tüchern, Stussy-Mütze oder zu Teufelshörnern gezwirbelten Haaren wirkten in der graffiti-verschönten Werkshalle weit passender, als im Studio 10 des NDR, wo derartige Konzerte oft an der Seriosität ersticken (siehe dazu auch das Foto des Komponisten).
Auch der Klang der über den Zementboden geschleiften Utensilien – Holzbänke, Hocker, Tische, Sprungrampen etc. – entwickelte in der ehemaligen Fabrikhalle ein heimatliches Gefühl werktätigen Lärms. Allerdings zählt hier nicht der kurzfristige Effekt, sondern die zeitgenössische Meditation. Der 60jährige Komponist, der mit Fluxus ebenso in Verbindung zu bringen ist wie mit indischer Musik, mit Jazz ebenso wie mit Minimal-Music, inszeniert ja oft Kompositionen sich überlagernder Klanglinien zu Performances.
Mit seiner speziellen Lichtinstallation – das Licht ist aus – umgibt er die Musiker, die durch die langsame Bewegung der Möbel ein vielstimmiges, obertonreiches Schreien erzeugen, in das einzutauchen lohnt. Denn in dem Ozean an Klängen kann man, wenn man die ersten Momente, wo es einfach quietscht, quakt und kreischt, hinter sich gelassen hat, von Walgesängen bis zu pfeifenden Schläuchen, von bremsenden Zügen bis zu Wörtern, von Flüstern bis zu schamanistischen Gesänge einen Kosmos an Erinnerungen hören.
Im ärmlich flackernden Licht einer Notausgangsbeleuchtung lernten die Musiker dabei, daß auch Kunst Sport ist, allerdings andächtiger Sport, während der Komponist mit einem feinen Lächeln, für das man die Mundwinkel nicht bewegen muß, über die Rampen und Täler wanderte.
Wäre es nur zehn Grad wärmer gewesen, der Autor hätte auch noch etwas über das Ende der Aufführung sagen können. Aber nach eineinhalb Stunden frohen Frierens siegte die Qual über den Genuß.
Till Briegleb
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen