: Das fettlose Fett gegen den Wabbelbauch
Die Wunderwaffe „Olestra“ verspricht den Amerikanern paradiesische Zustände: Nulldiät mit vollem Magen Ernährungswissenschaftler sind entsetzt und warnen vor den gesundheitlichen Risiken des Ersatzstoffs ■ Von Manfred Kriener
Beim großen Testessen wurden wahre Kalorienbomben aufgetragen. Es gab Entenbrust im Kräutermantel, gebackene Forellen, gebratene Krebse, dazu öl-schwere Salate und als Dessert wurden opulente Kuchen serviert. Alles triefte vor Fett. Doch die Tischgäste wurden beruhigt. Sie sollten weder Gallenkoliken noch Figurprobleme befürchten. Das nach alter Louisiana-Art rustikal zubereitete Mahl sei trotz allem leicht und kalorienarm, versprachen die Küchenchefs vom US-Konzern Procter & Gamble. Die Chemie-Köche hatten in Töpfen und Pfannen statt Butter und Olivenöl, Kokosfett und Margarine das Kunstfett „Olestra“ verwendet.
Das jetzt in den USA erstmals für Chips und Kräcker zugelassene Pseudo-Fett ist für den menschlichen Körper schlicht unverdaulich. Oben rein und unten wieder raus, heißt die Kurzformel für das Olestra-Prinzip. Und was nicht verdaut wird, kann auch keine Kalorien liefern. Es geht nach kurzem Wasserrauschen unverwertet den kurvenreichen Weg in die Kläranlage.
Ratten hielten ihr Gewicht trotz Olestra-Kost
Schon verspricht der Hersteller den übergewichtigen Amerikanern paradiesische Zustände: Genuß ohne Reue, Völlerei ohne Gewichtszunahme, Abspecken mit vollem Magen. „Sie können ihre Ernährung verbessern, ohne auf ihre Leibspeise zu verzichten“, heißt es in der Procter-&-Gamble- Produktbeschreibung. Olestra als neue Wunderwaffe gegen Wabbelbauch und Doppelkinn?
Ernährungswissenschaftler warnen vor den gesundheitlichen Risiken: Mit dem Kunstfett werden physiologisch wichtige Stoffe aus der Darmwand geschwemmt. Vitamine gehen verloren und müssen künstlich zugesetzt werden. Durchfälle und Verdauungsbeschwerden sind olestra-typische Nebenwirkungen. Zudem zeigen Tierversuche, daß keine Gewichtsabnahme durch eine Olestra-Diät erzielt wird. Mit dem Kunstfett gefütterte Ratten und Kaninchen gleichen den Kalorienentzug durch verstärkten Appetit wieder aus, sie fressen mehr und häufiger.
Die gesundheitlichen Bedenken gegen das Produkt müssen auf jeder Verpackung des einschlägigen Knabbergebäcks von Procter & Gamble aufgedruckt werden. Der vorgeschriebene Text: „Dieses Produkt enthält Olestra. Es kann Unterleibskrämpfe und Durchfall verursachen. Olestra behindert die Aufnahme von Vitaminen und anderen Nährstoffen“. Fehlt noch der Zusatz: Guten Appetit!
Für die Wissenschaftlerin Andrea Dittrich vom Deutschen Institut für Ernährung in Potsdam bleibt es angesichts solch massiver Vorbehalte unverständlich, weshalb das Kunstfett überhaupt eine Zulassung bekommen hat. „Wir waren sehr überrascht, daß die sonst so strenge amerikanische Aufsichtsbehörde nachgegeben hat.“
Doch bei Olestra geht es ums große Geld. 300 Millionen Dollar will der Konzern bisher in die Entwicklung des unverdaulichen „Anti-Nahrungsmittels“ (FAZ) gesteckt haben. Bei solchen Summen gibt es kein Zurück mehr.
Mit der Zulassung durch die US-Aufsichtsbehörde FDA endete ein fast drei Jahrzehnte dauernder, zermürbender Streit zwischen Konzern und Behörden. Schon 1968 hatten die beiden Procter-&-Gamble-Forscher Fred Mattson und Robert Voltenhein das Kunstfett zusammengebastelt und drei Jahre später patentieren lassen. Seitdem wird gestritten, verhandelt, begutachtet, geforscht. Mit allen Mitteln wurde versucht, das Okay der Behörden zu bekommen. Selbst eine Zulassung als Arzneimittel wurde zwischenzeitlich erwogen, weil Olestra angeblich die Cholesterinwerte senkt.
Das Dauerproblem des „analen Lecks“
Doch die Aufsichtsbehörden verlangten immer neue Gutachten. Und dem Konzern gelang es zunächst nicht, ein Phänomen in den Griff zu kriegen, das in den Studien streng wissenschaftlich als „anal leakage“ beschrieben wird. Auf Deutsch: Dünnpfiff. Für die freiwilligen Testesser war Olestra ein echter Unterwäsche-Killer, wie Fettforscher Mattson freimütig einräumt. Die Wissenschaftler mußten die Struktur ihres Produkts mehrfach verändern, es deutlich dickflüssiger machen, um die Leckage in den Griff zu kriegen. Die Warnung vor Durchfällen steht aber auch heute noch auf jeder Chip-Packung.
Neben den USA will der Konzern auch in Kanada und Großbritannien sein Ersatz-Fett vertreiben. Doch der Testmarkt ist Amerika. Hier muß sich zeigen, ob das neue Kunstprodukt gegen die wilden Proteste von Verbraucherschützern und Ärzten durchgesetzt werden kann. „Wir brauchen keine Olestra-Chips. Es ist vollkommen verrückt, einem Nahrungsmittel eine Substanz zuzufügen, die krank macht“, sagt Michael Jacobson von der Verbraucherorganisation Ralph Nader.
Vergangene Woche hat das „Fett ohne Fett“ eine eingeschränkte Zulassung erhalten. Der ausgehandelte Kompromiß sieht vor, daß Olestra für salzhaltiges Knabbergebäck verwendet werden darf, aber nicht für andere Lebensmittel.
Auf dem US-Markt ist die Knabber-Sparte allerdings mehr als eine kleine Spielwiese. „Die kaufen die Chips doch eimerweise“, spottet Udo Pollmer, wissenschaftlicher Leiter des Europäischen Instituts für Lebensmittelwissenschaften, über die Eßgewohnheiten einer Nation, in der mindestens jeder Dritte chronisch übergewichtig ist. Mit Olestra soll die Kalorienaufnahme der Chip- Junkies reduziert werden. Eine Unze (28 Gramm) herkömmliche Kartoffelchips hat 155 Kalorien, dieselbe Menge Olestra-Chips nur 67, rechnet Procter & Gamble stolz vor.
Für Udo Pollmer ist Olestra dennoch „alles andere als ein harmloses, unverdauliches Lebensmittel“. Trotz der inzwischen 150.000 Seiten Studienmaterial seien die Stoffwechselprobleme noch lange nicht ausreichend untersucht. Das Hauptproblem: Olestra fischt aus der Darmwand die fettlöslichen Stoffe und spült sie aus. Davon, glaubt Pollmer, sind nicht nur die Vitamine A, D, E und K betroffen, sondern Tausende von Substanzen, die in Spuren im Darm vorkommen und im komplizierten Stoffwechsel-Geschehen mitmischen. Auch das Immunsystem des Menschen werde von der Darmwand mit reguliert.
Als Diätmittel zum Abnehmen ist Olestra für Pollmer nicht mehr als „ein teurer Flop“. Der Fettkonsum habe sich in allen Überflußgesellschaften auf 40 Prozent der Gesamtenergiezufuhr eingependelt. Werde an einer Stelle Fett gespart, hole es sich der Körper an einer anderen zurück, wenn sich „der Appetit seinen Weg bahnt“.
„Die essen notfalls die eigene Polstergarnitur“
Die Potsdamer Ernährungsexpertin Andrea Dittrich warnt zudem vor der Verteufelung des Fetts – ein „wertvoller und unverzichtbarer Bestandteil der Nahrung“. Mit synthetischen Kunstprodukten abnehmen zu wollen, sei ganz sicher der falsche Weg. Doch wenn's ums Diäten geht, waren Appelle an die Restvernunft schon immer vergeblich. „Die essen notfalls auch die eigene Polstergarnitur“, hieß es schon während des letzten Diätpillen-Skandals über Schlankheitswahn und Diätenrummel.
Bleibt am Ende noch ein ganz anderes, bisher kaum beachtetes Problem. Das Kölner Katalyse-Institut hat mehrfach darauf hingewiesen, daß Olestra nicht nur im Darm, sondern auch in der Natur unverdaulich ist. Das schwer abbaubare Produkt werde „zu erheblichen Problemen bei der Abwasserreinigung führen“.
Ein Lebensmittel als Sondermüll. In der Procter-&-Gamble- Broschüre ist davon allerdings nichts zu lesen. Dort endet die Existenz des neuen Superfetts mit der Betätigung der Klospülung.
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