Politik und Religion tabu

■ Sokrates nach Plato: Gästeabend der Loge Anschar zur Brüderlichkeit Nr.662.

Die hohe Tür der Villa an der Kurfürstenallee öffnet sich bereitwillig. In der ganz in dezentem Blau gehaltenen Halle wird der Fremde sogleich als solcher erkannt und von einem freundlichen älteren Herren in Empfang genommen. Manfred Huether ist Meister vom Stuhl und somit eine Art gewählter Vorsitzender der Johannis-Freimaurerloge „Anschar zur Brüderlichkeit Nr. 662“. Mit ihren Gästeabenden - am Dienstag war Bürgerschaftspräsident Metz gekommen - wollen die Maurer den Schleier aus Vorurteilen lüften, der sie immer noch umweht.

Huethers Bruderschaft - Schwestern sind nur als Gäste zugelassen - ist eine von 14 Logen in Bremen und Bremerhaven. Fünf davon besitzen das elegante Logenhaus an der Kurfürstenallee. Organisiert sind die einst so mysteriösen Bünde ganz profan als eingetragene Vereine. Die Brüder zahlen Mitgliedsbeitrag, auch die eine oder andere Spende dürfte der Unterhaltung der Liegenschaft zugute kommen.

Die „Anschar zur Brüderlichkeit Nr.662“ hat 45 Meister, Gesellen und Lehrlinge in ihren Reihen. Gemeinsam streben sie trotz unterschiedlicher Überzeugungen nach dem Licht der Erkenntnis. Das Wesen einer Loge sei die Einheit aus leitenden humanistischen Ideen, freundschaftlicher Gemeinschaft der Brüder und des symbolischen Erlebnisses, erklärt Huether.

Daß die Bruderschaften auch ein Refugium für Männer vor der weiblichen Welt sind, räumen Freimaurer gerne ein, obwohl es kein einziges Prinzip gebe, daß nicht auch Frauen teilen könnten. Die männerbündische Tradition aus den Zeiten der Aufklärung sei aber gerade eine Stärke der Logen.

Wichtiges Element der Freimaurerei ist auch am Gästeabend die geistige Auseinandersetzung auf ziemlich hohem Niveau: Die Verteidigungsrede des Sokrates nach Plato ist das Thema. Eine gute Stunde ist der große Saal, in dem ehemalige Meister vom Stuhl von dunklen Ölgemälden hinabblicken, gefüllt mit Ethik, Moral und Philosophie. Wie Sokrates sich für seine Ideen hat zum Tode verurteilen lassen und bis zum Ende die Verderbtheit und Eitelkeit der Athener branntmarkte, das scheint ein Ideal zu sein, dem die Freimaurer nacheifern wollen.

Zwei ältere Brüder haben den Abend gestaltet. Das sei üblich, denn die Gruppe bilde sich aus sich selbst heraus weiter, sagt Huether, von Beruf Bürokaufmann. Unter den Brüdern sind viele Kaufleute und Intellektuelle. Arbeiter würden durch den intellektuellen Anspruch der Logen meist abgeschreckt, so der Sprecher der übergeordneten Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland, Rüdiger Oppers.

Obwohl sich die Brüder untereinander helfen, seien Logen jedoch keinesfalls reine Karriere-Förderungsvereine: Wer etwas werden wolle, sollte lieber zu Rotary gehen, rät Oppers, von Beruf Redakteur beim WDR-Fernsehen. Leute, die zu ambitioniert daherkämen, hätten wenig Chancen, aufgenommen zu werden.

Im ersten Stock des Logenhauses liegt der Große Tempel, der den mittelalterlichen Dombauhütten nachempfunden ist, in denen sich die Mitglieder der Steinmetz- und Maurergilde einst berieten: Eine als Sternenhimmel gestaltete Deckenkuppel, zwei Stuhlreihen im Kreis, an der Stirnseite unter den Freimaurer-Symbolen Zirkel und Winkelmaß ein erhöhter Sitz für den Meister vom Stuhl, neben ihm zwei zugeordnete Meister, gegenüber an dreieckigen Tischen die Plätze der sogenannten Aufseher. Hier finden die sogenannten „Tempelarbeiten“ statt. Sie bestehen aus der Diskussion durchaus weltlicher Themen wie neuer Erkenntnisse der Medizin und althergebrachten Ritualen und symbolischen Handlungen. Über den Inhalt dieser Rituale schweigen die Brüder. Das persönliche Erleben sei das einzige Geheimnis der Bruderschaften, sagt Huether.

Nach der Diskussion über Sokrates versammelt masn sich wie in jedem Klub zum Plausch an der Bar. Nur zwei Themen sind auch hier Tabu: Politik und Religion. jof