: War es eine Zwangsvereinigung, wie die SPD behauptet, oder eine Vereinigung auch mit Methoden des Zwangs, wie die PDS entgegenhält? Am 22. April 1946 fusionierten SPD und KPD zur SED. Diese Einheit wurde nicht nur von den Kommunisten und der sowjetischen Führung erpreßt, auch Sozialdemokraten wirkten aus unterschiedlichen Motiven an ihr mit – und damit am Ende der eigenen Partei Von Christian Semler
Kain und Abel der Arbeiterklasse
Zwei Generationen lang war sie die Streitfrage der Streitfragen, wo immer Kommunisten und Sozialdemokraten aufeinandertrafen: Wer ist Schuld an der Spaltung der deutschen Arbeiterbewegung? Wer verantwortet 1914, 1918, 1933 und zuletzt Februar 1946, als in der sowjetischen Besatzungszone eine Einheit erzwungen wurde, die – im Rahmen Deutschlands – die endgültige Trennung bedeutete? Dann zerfiel im Westen wie im Osten die Arbeiterklasse und mit ihr die Arbeiterbewegung. Wie die meisten Fragen von Bedeutung wurde auch die der wechselseitigen Verantwortung von KPD und SPD nicht beantwortet, sondern vom historischen Spielplan abgesetzt. Um nach der deutschen Vereinigung wieder aufzutauchen. Als Farce.
Weil es die SPD nach '89 nicht über sich gebracht hatte, für die deprimierten SEDler die Arme weit zu öffnen, entstand ihr in den „neuen Ländern“ die Konkurrenz der PDS. Eine Konkurrenz auf eigenem Terrain, denn die frischgebackenen demokratischen Sozialisten waren und sind trotz einiger Kommunistische-Plattform- Kränzchen und einiger Dritte- Weg-Girlanden nichts als Sozialdemokraten. Also tat Abgrenzung not. Findigen Mecklenburger SPDlern kam die Idee, im zwischenparteilichen Kampf mit der historischen Schuld und damit auch der notwendigen Buße der PDS zu hantieren. Und zum Kriterium der Bußfertigkeit wurde erhoben, ob die Ex-Realo-Sozialisten es auch wirklich bereuen, im Februar 1946 die SPD mit der KPD zwangsverheiratet und anschließend die Sozialdemokraten im Osten unbarmherzig verfolgt zu haben. Statt cool auf das Urteil kommender Historikergenerationen zu verweisen, produzierte die PDS ein Papier, dessen Halbheiten die Phalanx der SPD-Historiker auf den Plan rief. „Zwangsvereinigung“, etwas abgemildert „diktatorische Vereinigung“ oder schlicht „Zusammenschluß“ sind die Feldzeichen eines Kampfes, in dem es weit mehr um die Instrumentalisierung als um die Aufhellung historischer Fakten geht.
Dabei hat die Geschichte der Zwangsvereinigung eine Pseudo- Aktualisierung überhaupt nicht nötig, um uns mitzureißen. Wie im shakespearschen Drama geht es um große Leidenschaften wie um schäbige Interessen, wird auf der Königs- wie auf der Narrenebene agiert, und noch der übelste Schurke erhält das Recht auf einen großen Monolog. Beginnen könnte das Stück im Kreml, Anfang Juni 1945. Stalin instruiert die deutschen Genossen. Ein Mann macht sich anschließend Notizen.
Wilhelm Pieck, Interimsvorsitzender der KPD nach der Verhaftung Ernst Thälmanns, war stets ein ausführlicher Repetitor der jeweiligen Parteilitanei gewesen, aber in seiner Privatkladde herrschte schnörkellose Kürze. Er notiert: „Einheit Deutschlands sichern durch einheitliche KPD/ einheitliches ZK/ einheitliche Partei der Werktätigen/ im Mittelpunkt einheitliche Partei ... bürgerlich- demokratische Regierung.“ Nach dem Willen Stalins soll die KPD als selbständige Kraft fungieren und nicht nur als führender Faktor einer Massenorganisation, des „antifaschistischen Blocks der Werktätigen“. An diesem jetzt beiseite gelegten Modell war in der letzten Kriegsphase gebastelt worden. Die Konsequenz der politischen Wende: Auch andere Parteien müssen zugelassen werden. Pieck nimmt es in den Notizen zur Kenntnis und erläutert: „Also SPD, Zentrum.“ „Nicht von uns fördern“, setzt er hinzu. Klar.
Also keine Sozialistische Einheitspartei im Frühjahr 1945. Noch hoffen die Sowjets, hoffen die KPD-Führer, in Deutschland an den Sozialdemokraten vorbeizuziehen. Die „Partei der Werktätigen“, von der Pieck in der Kladde spricht, bleibt im Nebel. Sie setzt einen marxistisch-leninistischen Kern voraus – eben die „einheitliche“ KPD. Deshalb bescheidet Walter Ulbricht auch kühl die Berliner Sozialdemokraten: Voraussetzung der Einheit ist, daß die Sozialdemokraten den Reformismus beerdigen und zum authentischen Marxismus zurückkehren.
Nach der Befreiung ist in beiden Arbeiterparteien der Wunsch fast übermächtig, die Spaltung rückgängig zu machen. Einheitsparteien entstehen spontan „an der Basis“, in Thüringen, in Braunschweig, dort sogar mit dem Etikett „Sozialistische Einheitspartei“. Wer den nazistischen Terror überlebt hat, will nicht in die Grabenkämpfe der Zeit vor 1933 zurück, will neu beginnen.
Es sind vor allem Sozialdemokraten, die in den ersten Monaten nach der Befreiung für die Einheit streiten, und unter ihnen wiederum sind die Funktionäre, die sich in Berlin zum Zentralausschuß zusammengeschlossen haben, die zielstrebigsten und umtriebigsten. Gustav Dahrendorf, SPD-Reichstagsabgeordneter und Verschwörer des 20. Juli, dem Wilhelm Leuschner auf dem Weg zur Hinrichtung noch die Parole „Einheit!“ zurief. Erich Gniffke, schon in der SPD vor 1914, also vor der Spaltung. Er hat als Alleinvertreter der Kohleherdfabrik Heibacko nicht nur seine Familie übers Dritte Reich gebracht, sondern auch seinen Freund Otto Grotewohl, auch er politisch sozialisiert im linkssozialdemokratischen Braunschweig, auch er Reichstagsabgeordneter der SPD. Schließlich Max Fechner, Werkzeugmacher, Kommunalpolitiker und während der Nazizeit Besitzer eines Lebensmittelgeschäfts in Berlin-Neukölln. In Gniffkes Büroräumen soll die Einheitspartei geboren werden. Und als die KPD die kalte Schulter zeigt, wird die SPD notgedrungenerweise wiederbelebt.
Dem Zentralausschuß steht ein unbeugsamer Mann gegenüber: der frühere Reichstagsabgeordnete, militante Nazigegner und langjährige KZ-Insasse Kurt Schumacher. Die Westallierten sträuben sich gegen die rasche Wiederzulassung von Parteien, so daß Schumacher nur von einem hannoveranischen Büro aus operieren kann, das seinen Namen trägt. Schumacher ist strikt gegen die Einheitspartei. Nicht nur aufgrund der Tatsache, daß die KPD kaum ein Wort der Selbstkritik zu ihrer verhängnisvollen, den Machtantritt der Nazis begünstigenden, ultralinken Linie verloren hat. Er sieht in der KPD vor allem ein Vollzugsorgan Stalins. Und sein Antibolschewismus ist mehr an dem kompromißlosen Karl Kautsky geschult als an dessen ideologischem Antipoden Otto Bauer, der in den dreißiger Jahren die Wiedervereinigung der Arbeiterbewegung im Zeichen des „integralen Sozialismus“ heraufziehen sah. Derlei hält Schumacher für Hirngespinste. „Auch Kain und Abel waren Brüder“, wird er sagen. Auf einer Konferenz in Wennigsen bei Hannover werden am 5. und 6. November 1945 die Claims abgesteckt. Die Westzonen sind Schumachers Reich, der Zentralausschuß wird auf Berlin und die Ostzone beschränkt.
Mittlerweile hat sich die Achse des Vereinigungsprozesses um 180 Grad gedreht. Jetzt sind es die Kommunisten, die, ernüchtert durch das rasche Wachstum der SPD in ihrer Zone, aufgeschreckt durch die Wahlniederlagen in Österreich und Ungarn, auf die rasche Vereinigung drängen. Der Zentralausschuß der SPD hingegen sucht den Prozeß in die Länge zu ziehen, besteht darauf, daß die Vereinigung nur demokratisch, nur durch einen Reichsparteitag entschieden werden könne. Während die Sozialdemokraten in Baden noch als glühende Einheitsfans agieren, sehen sich ihre Genossen in der Ostzone und Berlin mit der Praxis der sowjetischen Besatzungsmacht konfrontiert: Bevorzugung der Kommunisten beim kommunalen Aufbau, bei der Lizenzierung der Presse, bei Transportmitteln, bei der Verpflegung. Erste Amtsenthebungen, erste Verhaftungen von SPD-Funktionären, denen es allzu schnell geht mit der Fusion. Während der Zentralausschuß mit Grotewohl Januar 1946 Schritt um Schritt zurückweicht, läuft die Vorbereitung auf den ersten Gewerkschaftskongreß in der Ostzone. SPD-Kandidaten werden gestrichen, Listen manipuliert. Manchmal nimmt der Kampf um die Kandidatenauswahl satirische Züge an. „Willst Du Qualen Dir ersparen, wähle nur die graden Zahlen“, heißt es auf einem Zettel der Kommunisten für die Gewerkschaftswahlen in Berlin-Treptow, bei denen die KPDler und ihre U-Boote auf geraden, die SPDler auf den ungeraden Plätzen stehen. Der Vereinigungsforscher Harald Hurwitz hat für die sowjetische Zone Bezirk für Bezirk festgehalten, wie die SPD-Mitglieder dem kombinierten Druck aus Bestechung und Drohung schließlich wichen.
Aber waren es wirklich nur Zuckerbrot und Peitsche, die die ostzonalen Sozialdemokraten umfallen ließen? Zeitzeugen wie Wolfgang Leonhard und Historiker wie Andreas Malycha stimmen darin überein, daß die entschiedenen Vereinigungsbefürworter wie Vereinigungsgegner in der Minderheit waren. Das Gros schwankte zwischen Hoffnung und Resignation. Hoffnung worauf? Daß die SPD sich wegen ihrer zahlenmäßigen Stärke und ihrer höheren Qualifikation gegenüber den tumben KPD-Apparatschiks durchsetzen werde. Daß nach dem Abzug der sowjetischen Besatzungsmacht der KPD-Anteil in der Einheitspartei auf seine „natürliche“ Größe reduziert würde. Daß man den Kopf einziehen und durchhalten könne. Und hatten die Kommunisten nicht auf den Marxismus-Leninismus als Grundlage und den demokratischen Zentralismus als Organisationsprinzip verzichtet? War nicht Parität auf allen Ebenen zugesagt worden? Überhöhtes Selbstbewußtsein mischte sich mit schlechtem Gewissen gegenüber den Kommunisten, die stärker gegen Hitler gekämpft und mehr gelitten hatten.
Das Ergebnis der Urabstimmung in den Berliner Westsektoren, die unter dem Schutz der Westalliierten stattfinden konnte, hatte symptomatische Bedeutung: Minderheitsposition der entschiedenen Gegner und Befürworter, eine Zweidrittelmehrheit gegen die Vereinigung unter den jetzigen, aufgezwungenen Bedingungen, aber für Aktionseinheit und für Vermeidung des „Bruderkampfs“. Kaum ein Zweifel, daß eine freie Urabstimmung in der Ostzone ein ähnliches Ergebnis erbracht hätte, aber damit wäre gerade nicht die prinzipielle Abgrenzung, wie Kurt Schumacher sie forderte, festgeschrieben worden. Eine Betrachtung ex post, etwa vom Kalten Krieg des Jahres 1948 her, würde sicher Schumacher recht geben. Aber hat er nicht mit seinem Veto gegen einen Reichsparteitag der SPD, mit seiner Weigerung, die Freunde von der regierenden Labour Party einzuschalten und die Frage der SPD/KPD- Vereinigung vor das Forum des allierten Kontrollrats zu bringen, die Sozialdemokraten der Ostzone ihrem Schicksal überlassen? Wäre er aber andererseits überhaupt in der Lage gewesen, einen so bestimmenden Einfluß auszuüben? Die verbotenen „Was wäre gewesen, wenn“-Fragen, die einzigen, die die Beschäftigung mit der Geschichte lohnen.
Im Gegensatz zu Schumacher war Otto Grotewohl ein unsicherer, eitler, aufgeblasener Narr, ein Mann, „der zu haben war“ (Hurwitz), dem die Aussicht auf den Posten des künftigen Ministerpräsidenten des Oststaats ausreichte, die Seiten zu wechseln. Aber sein künftiger Herr und Meister, Josef Stalin, war kein Narr. Was mochte ihn bewogen haben, mit der Zustimmung zur Vereinigung die sichere Spaltung von SED und (West-)SPD einzuhandeln? Konsequent wäre diese Politik nur gewesen, wenn der Generalissimus von Anfang an die Errichtung eines von der Sowjetunion abhängigen Staates auf dem Territorium der sowjetischen Besatzungszone im Kopf gehabt hätte. Aber die uns bekannten Quellen weisen für die Nachkriegszeit eher in Richtung einer gesamtdeutschen Konzeption. Also nur „Vollendung der bürgerlich-demokratischen Revolution“ als „Zielstellung“? Falls diese Version zutrifft, dann wollte Stalin zwar, aber er konnte nicht. Dann wäre der sowjetischen Politik fehlende Einsicht in die Funktionsweise der Demokratie, die Weigerung, Widersprüche und Pluralismus auszuhalten, kurz: der Mangel an politischer Kultur, zum Verhängnis geworden. Gebrechen, die sie, mit Kautsky zu sprechen, als Geburtsfehler auf ihr Geschöpf übertrug. Und an denen das ungeliebte Kind im Mannesalter schließlich zugrunde ging.
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